Wer protestiert, kommt ins Massengrab

MEXIKO Nach dem Massaker an Studenten sind mehrere Dutzend Leichen in Sammelgräbern entdeckt worden. Die Polizeikräfte der Stadt Iguala wurden entwaffnet, Militär und Bundespolizei sind eingerückt

Die Körper der Opfer wurden mit Brandbeschleuniger übergossen und angezündet

VON WOLF-DIETER VOGEL

BERLIN taz | Nach dem Fund dreier Massengräber im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero haben in der Stadt Iguala Soldaten und Bundespolizisten die Kontrolle übernommen. Präsident Enrique Peña Nieto hatte angeordnet, die lokalen Polizeibeamten zu entwaffnen. Die föderalen Sicherheitskräfte suchen indes weiterhin nach zahlreichen Pädagogikstudenten, die seit Ende September verschwunden sind.

Am Wochenende hatten ein lokaler Polizist sowie ein Killer der kriminellen Organisation „Guerreros Unidos“ (Vereinigte Krieger) die Ermittler zu den Gräbern geführt, in denen 28 teilweise verstümmelte und verkohlte Leichen lagen. Die beiden gestanden, die Lehramtsanwärter auf Anordnung des Sicherheitsbeauftragten von Iguala festgenommen und im Auftrag des Chefs der Guerreros Unidos ermordet zu haben. Von den übrigen Vermissten fehlt weiterhin jede Spur. Menschenrechtsorganisationen erheben indes schwer Vorwürfe gegen die Regierung.

Der Generalstaatsanwalt von Guerrero, Iñaki Blanco Cabrera, bestätigte, dass der Angriff auf die Studenten der pädagogischen Fachschule Ayotzinapa vor zwölf Tagen von Polizisten und Kriminellen gemeinsam durchgeführt wurde. Damals stoppten die Beamten drei Busse, die von den Lehramtsanwärtern „beschlagnahmt“ worden waren, um nach einer Spendenaktion nach Hause zu kommen. Die Polizisten eröffneten das Feuer. Kurz darauf beschossen Killer einen weiteren Bus sowie ein Treffen der jungen Männer mit Journalisten. Ein Student wurde nach Angaben des Menschenrechtszentrums Tlachinollan vor seiner Ermordung gefoltert. Insgesamt starben an diesem Tag mindestens sechs Personen, 57 verschwanden. Fotos beweisen, dass die Beamten mindestens 17 von ihnen in Polizeifahrzeugen abtransportiert haben. Einige der Verschwundenen sind später wieder aufgetaucht, von 43 fehlte bis zum Wochenende jede Spur.

Endgültige Sicherheit über die Identität der gefundenen Leichen könne erst eine DNA-Analyse bringen, erklärte Blanco Cabrera. Das könne bis zu zwei Monate dauern. Die Leichen seien in den Gräbern auf Äste und Baumstämme gelegt worden, so der Staatsanwalt. „Dann wurden sie mit einem Brandbeschleuniger übergossen.“

Mindestens 30 Personen sitzen ihm zufolge in Haft. Auch nach dem flüchtigen Bürgermeister von Iguala und seinem Sicherheitsbeauftragten wird gefahndet. Beide sollen auf der Gehaltsliste der Guerreros Unidos stehen.

Wie die meisten Städte und Gemeinden des Bundesstaats wird Iguala von der Mafia kontrolliert. Die „Vereinigten Krieger“ sind aus dem Kartell der Brüder Beltrán Leyva hervorgegangen, dessen Chef vergangene Woche gefasst wurde. Sie sind in die Produktion von Marihuana und Opium in Guerreo sowie den Transport kolumbianischen Kokains verstrickt. Gemeinhin sind Mafiaorganisationen in Mexiko aber meist auch in örtliche Geschäfte wie etwa den illegalen Holzschlag eingebunden.

Die rebellischen Ayotzinapa-Studenten sind Politikern, Unternehmern und Kriminellen ein Dorn im Auge, da sie sich gegen Korruption, Landraub und ökologische Zerstörung zur Wehr setzen. Sie stammen aus einfachen Familien, die Fachschule bildet sie zu Grundschullehrern aus. Deshalb seien sie für die Politiker nicht von Interesse, kritisieren Menschenrechtsverteidiger und machen die Landes- und Bundesregierung für die Morde mitverantwortlich. Bereits 2011 wurden zwei der Lehramtsanwärter von Polizisten getötet. Doch bis heute seien die Verantwortlichen nicht strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen worden, kritisiert das Zentrum Tlachinollan. Präsident Peña Nieto habe sich bis zum Fund der Gräber nicht für die Angehörigen interessiert. Der bekannte Menschenrechtsaktivist und Pfarrer Alejandro Solalinde forderte den Rücktritt von Ángel Aguirre, dem Gouverneur von Guerrero. Aguirres Regierung sei korrupt, repressiv und stehe für Korruption, Kriminalität, Straflosigkeit, Schmerz und den Tod.

Bereits letzte Woche hatten die Interamerikanische Menschenrechtskommission und die UNO Maßnahmen gefordert, um die Verschwundenen aufzufinden. Die UN-Vertretung in Mexiko sprach von den „schlimmsten Ereignissen der letzten Zeit“. Allein in der knapp zweijährigen Regierungszeit Peña Nietos wurden in Mexiko 246 geheime Gräber mit insgesamt 534 Leichen gefunden. Zwischen 2006 und 2012 sind nach amtlichen Angaben 26.000 Menschen verschwunden.