Versöhnte Kundschaft

Ganz Fußball-Bochum freut sich über den frühen Klassenerhalt. Siegesserie lässt Misstöne vergessen

BOCHUM taz ■ Die Schulterklopfer warteten schon: Halbweltgestalten, braungebrannt mit offenem Hemd und dicker Hose. Als die Mannschaft, Trainer und Betreuer des VfL Bochum Samstagnacht um halb zwölf doch noch im Bochumer Bermudadreieck auftauchten, um den vorzeitigen Klassenerhalt zu feiern, war die Erleichterung unter den Gästen der Kneipen und Biergärten groß: Es gab Applaus und ehrliche Glückwünsche – auch von jenen Leuten, die noch vor einem halben Jahr Trainer Marcel Koller und große Teile der Mannschaft verdammt hatten und ihre Dauerkarte samt Mitgliedsausweis am liebsten durch den Schredder gejagt hätten. Das alles war jetzt vergessen.

Mit einem 3:0-Erfolg beim Hamburger SV hat der Revierclub zwei Spieltage vor Saisonende das „große Ziel“ erreicht, wie Koller stolz feststellte. Jetzt werde man versuchen, das „kleinere Ziel“, den Uefa Intertoto-Cup, kurz Ui-Cup, anzustreben. Die Tendenz spricht dafür.

Wie selbstverständlich hatten die Bochumer auch das dritte Auswärtsspiel in Folge gewonnen. Und wie bei den Siegen in Leverkusen (4:1) oder Frankfurt (3:0), war das Ergebnis in Hamburg an Deutlichkeit nicht mehr zu überbieten. Zumindest was die Zahlen angeht.

„Wir haben den Spielverlauf auf den Kopf gestellt und dabei den Lauf genutzt, den wir zur Zeit haben“, sagte Christoph Dabrowski hinterher und hatte Recht damit. Als der vermutliche Torschützenkönig der Bundesliga Theonfanis Gekas mit seinem 20. Treffer in der 61. Minute die Führung erzielte, war dies die erste Bochumer Aktion in der zweiten Halbzeit. Und auch die Tore von Dennis Grote, abgefälschter Schuss (66.) und Zvjezdan Misimovic, überflüssiger Handelfmeter (80.) fallen wohl nur, wenn eine Mannschaft ein Momentum hat. HSV-Trainer Huub Stevens nannte es „eine Lehrstunde in Effektivität“.

Vermutlich hatten die Spieler noch den emotionalen Derbysieg gegen Schalke von vergangener Woche in Beinen und Köpfen. „Das war ein Spiel, in dem wir nicht das Maximum zeigen konnten“, sagte Marcel Koller über das Hamburg-Match. Wenn es denn auch so reicht – geschenkt. „Wir kucken nun auf den siebten Platz und wollen – mit Hinblick auf die Partie gegen Stuttgart – die Meisterschaft nicht verfälschen. In Gelsenkirchen wird man diese Worte gerne hören.

Dort hoffen sie natürlich, dass die Bochumer ihre unwirkliche Serie von fünf Siegen aus sechs Spielen ausbauen. Eine Serie, mit der derzeit allenfalls der VfB Stuttgart mithalten kann. Und wer besser, als die schwäbischen Meisterträumer könnte zum Saisonfinale im Bochumer Ruhrstadion auftreten – und verlieren. Das glaubt zumindest VfL-Kapitän Thomas Zdebel: „Der VfB gewinnt hier nicht.“

Ob die Hoffnung auf den Ui-Cup dabei tatsächlich im Mittelpunkt des Bochumer Interesses steht, darf bezweifelt werden. Für die Fans heißt es Abschied nehmen von einer Mannschaft, die ihnen zumindest seit Frühlingsanfang den Glauben an den Verein wiedergegeben hat.

Doch wie immer, ist die Freude in Bochum nur temporär: Gekas wechselt nach Leverkusen, Misimovic nach Nürnberg und Winterneuzugang Jaroslaw Drobny, der vermutlich beste Torhüter der Rückrunde, liegt ein millionenschweres Angebot von Celtic Glasgow vor. „Wir müssen alles tun, ihn zu halten“, sagt Trainer Koller – ein Appell, den er auch an die Fans richtete. Er klang dabei leicht verzweifelt. Wie schwer es ist, mit wenigen Mitteln eine konkurrenzfähige Mannschaft zusammenzustellen musste Fußball-Bochum in den ersten beiden Saisondrittel erfahren. Sollte das nicht gelingen, sind die Schulterklopfer ganz schnell wieder in ihrem Element. HOLGER PAULER