Anhaltende Proteste gegen Musharraf

In Pakistan wird die Fahrt des suspendierten Obersten Richters von Islamabad nach Lahore zu einem Triumphzug. Bislang lässt sich die Bewegung gegen den Militärmachthaber weder durch Repression noch durch Gewährenlassen eindämmen

VON BERNARD IMHASLY

Die von den Anwälten und Richtern des Landes lancierte Kampagne gegen den pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf geht unvermindert weiter. Sie entzündete sich an der Suspendierung des Obersten Richters des Landes, Iftikhar Chaudhry, der plötzlich in die unerwartete Rolle eines Herausforderers des Militärregimes geschlüpft ist. Jedes Mal, wenn der Richterausschuss tagt, um die ihm zur Last gelegten Vergehen zu untersuchen, kommt es in Islamabad zu Demonstrationen. Und an Wochenenden folgt Chaudhry Einladungen von Anwaltsverbänden aus den Provinzen, die ihrerseits Gelegenheiten zu Kundgebungen bieten.

Am Samstag begab sich Chaudhry nach Lahore, der Hauptstadt Punjabs, der wichtigsten Provinz und Stadt des Landes. Die dreihundert Kilometer von Islamabad kann man sonst in fünf Stunden zurücklegen, doch für Chaudhry dauerte die Fahrt 24 Stunden, sodass er erst einen Tag später in Lahore ankam. Die Fahrt gestaltete sich zu einem Triumphzug, denn in vielen Städten waren die Straßen von Sympathisanten gesäumt, sein Konvoi musste immer wieder anhalten, und die Menschen bekränzten Chaudhry mit Girlanden.

Das Gelände des Obersten Provinzgerichts in Lahore war übersät von Anwälten in ihren schwarzen Roben. Sie waren zusammengekommen, um Chaudhry ihre Solidarität zu versichern. Aber die Rufe „Geh, Musharraf, geh!“ zeigten deutlich, dass er nur die Projektionsfläche für den Widerstand gegen den Präsidenten war, der sich Ende des Jahres der Wiederwahl stellen muss. Als Oberster Richter des Landes hatte Chaudhry immer schärfer gegen die Allmacht der Regierung Stellung bezogen und – das ist neu in Pakistan – mit seinem Insistieren auf der Souveränität des Grundgesetzes das Regime herausgefordert.

Als Musharraf ihn im März suspendierte, weil er sich angeblich mithilfe seiner Stellung Privilegien für seine Person und Familienangehörige angemaßt hatte, wurde dies in weiten Kreisen als Versuch gesehen, ihn kaltzustellen. Gestern sprach Chaudhry davon, dass sich eine Diktatur dem Gesetz unterwerfen müsse. Wenn sie dies ignoriere, werde sie „zerstört“. Die Idee der Diktatur sei „vorbei“.

Die Fahrt nach Lahore und der dortige Empfang zeigen, dass es der Regierung nicht gelungen ist, der Proteste Herr zu werden. Zunächst hatte sie hart durchgegriffen, doch dies heizte die Stimmung erst richtig an. Auch das Gewährenlassen half nicht viel, wie die anhaltenden Kundgebungen in Islamabad und anderen Städten beweisen. Es gibt Anzeichen, dass das Regime nun erneut versucht, die Protestwelle einzudämmen.

Musharraf hatte im Vorfeld von Chaudhrys jüngstem Auftritt vor einer Politisierung der Untersuchung gegen den Richter gewarnt. Auch die Polizei hatte am Freitag zahlreiche Personen in Beugehaft genommen, am Samstag wurden die Zufahrtsstraßen zum Obergericht gesperrt. Dies verlängerte zwar die Fahrt Chaudhrys weiter, bot aber eine Gelegenheit, ihn noch länger durch Seitenstraßen paradieren zu lassen.