KUNST

schaut sich in den Galerien von Berlin um

NOEMI MOLITOR

Kaum eine abstrakte Malerin beeindruckt mich so wie Julie Mehretu. Sie malt großformatig, doch leicht und geht mit Grau um, als würde sie die komplette Farbpalette einsetzen. In vorherigen Arbeiten boten architektonische Umrisse explizite Referenzen auf globale Stadtgeschichte und Revolutionsschauplätze. In der aktuellen Ausstellung „Half a Shadow“ („Ein halber Schatten“) in der Galerie Carlier Gebauer sind solche geometrischen Formen nur noch in hauchdünnen, kaum sichtbaren pinken Linien vorhanden und werden dann noch von umherirrenden, fetten schwarzen Schlieren überlappt. Titel wie „Schwerer als Luft“ unterstreichen die unkontrollierte Emotionalität, die hier zum Ausdruck kommt. Von Weitem wirken die Bilder irritierend aus einem Guss. Beim näheren Herantreten kommen die vielen Schichten und Materialien, die Mehretu nach und nach eingearbeitet hat, wieder zum Vorschein und erscheinen den Betrachter-innen unfassbar endlos (Di–Sa, 11–18 Uhr, Markgrafenstr. 67).

In der visuellen Kunst gilt es als attraktiv, wenn sich Arbeitsschritte ablesen lassen. Bei Musik ist das anders. Nur die ausgetüfteltste Version eines Albums kommt in die Läden, und Lieder werden selten in ihrem Entstehungsprozess nachvollziehbar gemacht, geschweige denn ausgestellt. Mit „Music of the group (1982–1987)“ macht die Galerie Between Bridges sich daran, dies zu ändern. Die Band Colourbox, bekannt für ihr prä-digitales Sampling in den frühen 80ern, hat hierfür 16 Aufnahmen in Studioqualität geliefert, die im hinteren Raum auf einem High-End-HiFi-Soundsystem abgespielt werden. Diese Rohfassungen klingen besser als jedes Endprodukt, das auf dem mp3-Player schnell zum digitalen Schatten seiner selbst wird. Das tut jedes Mal ein bisschen weh, doch hier wird endlich alles gut: An zwei Plätzen ist der Sound so optimal, dass man gar nicht mehr aufstehen will. Ein Mikrofon (das wie eine Metallskulptur aussieht) misst die sich ändernden Klangverhältnisse im Raum und hilft den Sound anzupassen. Hinzu kommen im Vorderraum Original-Mastertapes in Vitrinen und Textauszüge aus den gesampelten Songs: Jedes verwendete Lied wird hier gewürdigt, die absurden bis tiefgründigen Zitate liefern einen textlichen Zugang zur Musik. Zur Ausstellung ist auch ein Album erschienen. So kann man sich zu Hause den Klangunterschied zur Ideal-Akustik ganz masochistisch vor die Ohren führen. (Mi–Sa, 12–18, Keithstr. 15) Ob visuell oder akustisch, Sampling gibt so bei beiden Präsentationen den Ton an. Denn auch Mehretus visuelle Arbeiten können als „vibrierende Klangfelder“ (Ausstellungstext) bezeichnet werden.