Finales Drama

Mit einer Spur von Irrsinn: Das Gorki-Studio stellt Christian Lollikes „Das Wunderwerk“ in einer szenischen Lesung vor

Na endlich! Die vier Darsteller liegen auf dem Boden, fesseln sich mit Isolierband, beschmieren sich mit Margarine und wickeln sich in Filz. Sie knutschen, züngeln, speicheln, was der Rachen hergibt. Nun muss man fast Angst bekommen, dass sich die Schauspieler ernstlich verletzen bei ihrem Versuch, die sinnentleerte Berechenbarkeit der modernen Medien-und Konsumwelt auf der Bühne umzusetzen. Denn im Gegensatz zu den plötzlichen Exzessen hatte die szenische Lesung von Christian Lollikes „Das Wunderwerk oder the Re-Mohammed-TY Show“ im Studio des Maxim Gorki-Theaters ungewöhnlich langsam begonnen.

Die Aussage des deutschen Komponisten Stockhausen, der elfte September sei das größte Kunstwerk des 20. Jahrhunderts, reizte den jungen dänischen Autor, diese Idee konsequent fortzudenken: In einer Welt des Konsums, in dem Ungeheuerlichkeiten den Medien und der Kunst zur Profilierung dienen, ist vieles möglich. In der Debatte, die Lollike sich ausdachte, bekommt Ussama Bin Ladens „Werk“ Konkurrenz: Zur Auswahl stehen der Völkermord in Ruanda, die Hungersnot in Äthiopien und das Schulmassaker von Beslan. Alle gut zu vermarktend, vermelden die vier Experten, doch zugegeben: Der elfte September habe die beste „Dramaturgie“, obwohl es natürlich weniger Tote gegeben habe als in Ruanda.

Zu Beginn von Christian Lollikes Stück blickten die Schauspieler nur ins Publikum. Minutenlang. Eine gestrenge Schöne streicht ihren hautengen Ledermini glatt. Unbehagliches Scharren, bis ein Anzugträger mit schütteren grauen Schnittlauchlocken das Wort ergreift. Recht habe Karlheinz Stockhausen gehabt! Einer kurzen Diskussion folgt der brutale Exzess, das Chaos.

Die jungen Schauspieler performen mit vollem Körpereinsatz und großer Rücksichtslosigkeit. Unter der Leitung von Armin Petras, ebenfalls nicht für übertriebene Zürückhaltung bekannt, entsteht so ein Gefühl für die ungeheure Gewalt hinter Stockhausens Aussage. Flache Allusionen wie die zu Beuys’ Fett-und-Filz-Kunst verzeiht man da nur zu gern. Denn eins eint Autor, Theatermacher und die jungen Darsteller: der absolute Wille zum sinnentleerten Wahnsinn, den ein solches Stück erfordert. Heraus kommt eine gerade in ihrer Kompromisslosigkeit überzeugende Darbietung.

JOHANNA SCHMELLER

Gorki-Studio, wieder am 6. und 16. März, 20 Uhr