Kollege sein lohnt sich wieder

IG Metall NRW setzt sich durch: 4,1 Prozent Lohnzuwachs für die Beschäftigten an Rhein und Ruhr. Andere Gewerkschaften folgen dem Trend – in Nordrhein-Westfalen und selbst in Europa

VON MARTIN TEIGELER

Es ist nicht der erste Schluck aus der Pulle – aber er schmeckt wohl trotzdem. Der Tarifabschluss in der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie wird auch für die 700.000 Beschäftigten in NRW übernommen. IG Metall und Arbeitgeber einigten sich gestern in Düsseldorf auf 4,1 Prozent mehr Lohn ab Juni. Der Pilotabschluss sieht ab Juni 2008 außerdem eine weitere 1,7-prozentige Erhöhung vor.

„Wir sind sehr zufrieden, dass die gute wirtschaftliche Entwicklung nun endlich auch bei den Leuten ankommt“, kommentierte der nordrhein-westfälische IG-Metall-Bezirksleiter Detlef Wetzel die Einigung. Auch wenn der Pilotabschluss für den wichtigsten deutschen Industriezweig in diesem Jahr nicht in seinem Bezirk erreicht wurde, gilt der Siegerländer als Vordenker der Metall-Lohnoffensive. „Tarifpolitik ist unser Tagesgeschäft“, sagt Wetzel. Die erfolgreiche Konzentration auf die Kernkompetenz der Gewerkschaft hat ihn zum Anwärter für Chefposten in der Bundesführung der IG Metall gemacht.

Die Konjunktur läuft, die Metaller legen vor – und andere Gewerkschaften nach. Beispiele: Im Tarifkonflikt für die rund 250.000 Mitarbeiter im Groß- und Außenhandel von Nordrhein-Westfalen fordert die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sechs Prozent. Für die 400.000 Beschäftigten im NRW-Einzelhandel fordert die Gewerkschaft 4,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt sowie ein Mindesteinkommen von 1.500 Euro im Monat, das einem Stundenlohn von 9,20 Euro entspreche.

Die positiven Ergebnisse der deutschen Kollegen ermuntern nun sogar die europäischen Arbeitnehmervertreter, engagierter für mehr Lohn zu kämpfen. „Die Gewerkschaften bewegen sich heraus aus der Defensive“, sagt der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), der Brite John Monks. Deutschland als größtes Land der Europäischen Union habe eine aufsteigende Lohnentwicklung in der EU bislang behindert. Nun könnte sich der Trend umkehren, so Monks.

Die weiteren Tarifabschlüsse sollten aus Gewerkschaftssicht in diesem Jahr mindestens 3,5 Prozent Lohn-Erhöhungen vorsehen. Dieser Spielraum stehe im Durchschnitt allen Branchen zur Verfügung, sagt der Wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn. Sein Institut gehört zur DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung. Nach der „tiefsten Konsumkrise der Nachkriegszeit“ müsse der private Verbrauch nun dringend über Lohnerhöhungen angekurbelt werden, so Horn. Immerhin habe Deutschland zehn Jahre Lohnzurückhaltung hinter sich. „Wann sollen die Löhne denn steigen, wenn nicht jetzt?“, fragt DGB-NRW-Chef Guntram Schneider. Schließlich seien Wirtschaftswachstumsprognosen von 2,8 Prozent „für ein so hoch entwickeltes, saturiertes Land unglaublich“.

Die Kapitalseite scheint in diesem Jahr verhandlungsbereiter als in den Vorjahren – zumal die wirtschaftlichen Daten für die Arbeitnehmer sprechen. Nach Ansicht von NRW-Arbeitgeber-Präsident Horst-Werner Maier-Hunke ist die Übernahme des hohen Tarifabschlusses „nur durch die außerordentlich gute konjunkturelle Lage gerechtfertigt“. Aber dieses „Nur“ ist das entscheidende Argument für die Beschäftigten.

„Der Metall-Tarifabschluss ist angemessen“, sagt Alexander Krüger, Volkswirt bei der WestLB in Düsseldorf. Angesichts der Wirtschaftsentwicklung sei es „normal“, dass die Arbeitnehmer bei den Lohnverhandlungen Erfolge erzielten. Der Einkommenszuwachs sei auch „keine Konjunkturbremse“, sagt Experte Krüger und spricht von einer „Konsumstory“, die mehr Kaufkraft in diesem Jahr erwartet lässt.

Das Land hält sich wie üblich bei Tarifkämpfen zurück. Von NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ist überliefert: „Politiker sollten sich nicht in Tarifverhandlungen einmischen.“