Brückenschlag in die neue Heimat

ANKOMMEN Sadias Familie zog vor zehn Jahren von Bangladesch nach Berlin. Inzwischen kennt sich die Neunjährige besser in der Stadt aus als ihre Mutter – auch dank ihrer deutschen Patin. Vermittelt wurde die Patenschaft durch den Verein „Hand in Hand“

Immer wilder schwingt Sadia auf der Schaukel, die langen, schwarzen Haare flattern im Wind. „Höher!“, ruft die Neunjährige und treibt die Frau auf der Schaukel neben ihr an. Sie sind ein ungleiches Paar: die dunkelhäutige Sadia, deren Familie aus Bangladesch stammt, und die Frau mittleren Alters, die offensichtlich nicht ihre Mutter ist. Gabi Vietze ist Sadias Patin.

„Ich habe keine Kinder, will aber den Draht zur jüngeren Generation nicht verlieren“, erklärt Vietze. Deshalb entschied sie sich für ein Patenkind. „Wir sehen uns meist am Wochenende.“ Auf dem Programm stehen dann Fahrradfahren, Museen, Kinderfeste. Heute machen sie einen Ausflug ins Puppentheater. „Weil ich Geburtstag hatte“, sagt Sadia stolz, steigt von der Schaukel und klettert auf ein Gerüst.

Sadia und Gabi Vietze kennen sich durch den Verein „Hand in Hand Patenschaft“. „Wir bringen seit vier Jahren Kinder und Paten zusammen“, erklärt die Vorsitzende und Gründerin Ricarda Weller. Anlass der Gründung waren persönliche Erlebnisse: Weller arbeitete in einem Charlottenburger Jugendclub. „Einige Kinder waren völlig vernachlässigt, viele bekamen zu Hause nicht einmal Essen.“ Weller tat sich mit Bekannten zusammen und gründete „Hand in Hand“.

Derzeit betreut der Verein 40 Patenschaften. Jede beginne mit einem Eingeständnis der Eltern, so Weller: „Sie merken, dass den Kindern etwas fehlt.“ Oft sind es Kinder alleinerziehender Mütter, aber auch Familien mit Migrationshintergrund bemühten sich um Paten. „Sie wollen eine Brücke ins neue Land schlagen.“

So wie Sadias Familie, die vor 10 Jahren von Bangladesch nach Berlin kam. „Wir kennen uns hier nicht gut aus“, sagt Sadias Mutter Sova Haque. „Aber wir wollen, dass unsere Tochter Berlin kennenlernt. Aus Sicht der Menschen hier.“ Eine Amtsärztin des Jugendamtes stellte den Kontakt zu „Hand in Hand“ her. Auch Sadias siebenjähriger Bruder Nabid hat eine Patin.

Auf dem Spielplatz drängt die Zeit, das Theater fängt bald an. „Komm, Sadia“, ruft Gabi Vietze. Auf dem Weg sprechen sie über die Schule, das Wetter, Werbeplakate an der Straße. Schüchtern läuft die Neunjährige neben ihrer Patin. Für Vietze unterscheidet sich ihr Patenkind von Kindern aus deutschen Elternhäusern deutlich. „Sadia ist zurückhaltender und bescheiden“, findet sie. Ihr Patenkind kommt aus einer muslimischen Familie. „Da wird Gastfreundlichkeit großgeschrieben“, sagt Vietze und erzählt von gemeinsamen Teestunden. Manchmal seien Mentalität und Kultur von Sadias Familie aber auch nicht unkompliziert: „Im Freibad hat Sadia den Badeanzug über ihre Kleidung gezogen“, erzählt Vietze. Für ihre Patenschaft hat sie sich vor allem ein Ziel gesetzt: „Ich wünsche mir, dass aus Sadia eine selbstbewusste Frau wird.“

Auch Männer trauen sich

Die Paten sollen nicht aktiv in die Erziehung eingreifen, aber als Vorbild dienen und Perspektiven aufzeigen. „Sie begleiten die Entwicklung der Kinder über Jahre hinweg“, sagt Weller. Bei den Paten handelt es sich hauptsächlich um kinderlose, alleinstehende Frauen. „Die meisten sind gut ausgebildet und berufstätig. Mittlerweile trauen sich auch immer mehr Männer“, so Weller.

Bevor eine Patenschaft zustande kommt, werden die potenziellen Paten in Gesprächen und Schulungen vorbereitet. „Dann schauen wir, welche Erwachsenen zu welchen Kindern passen könnten“, so Weller. Wichtig seien Wohnort, Lebenserfahrung, gemeinsame Interessen. Wenn Kind und Erwachsener sich kennengelernt haben, wird ein Vertrag abgeschlossen.

An die erste Begegnung mit ihrem Patenkind vor zwei Jahren kann Vietze sich noch gut erinnern: „Erst waren wir uns ein bisschen fremd, aber wir haben schnell festgestellt, dass wir uns mögen.“ Mittlerweile kennt sich Sadia in Berlin besser aus als ihre Mutter. Ein Wissensvorsprung, den sie genießt. MANUEL OPITZ