Hier wird neu gedacht

Das Leben ist ein Modellbaukasten: Mit „New Harmony“ erfindet das Künstlerduo Dellbrügge & de Moll fürs Künstlerhaus Bethanien einen anderen Raum. Es soll Treptower Gartenkolonie werden

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Mit Bildern bringt man Bewegung in Gedanken. Was würde passieren, wenn man das Künstlerhaus Bethanien in den Spreepark nach Treptow verlegt, fragt das Künstlerduo Dellbrügge & de Moll in seiner Ausstellung „New Harmony“ und erzeugt mit großen Bildern aus dem stillgelegten Park und Raummodellen des Künstlerhauses eine erste Vorstellung.

Gras sprießt aus den Ritzen zwischen den Kassenhäuschen des geschlossenen Vergnügungsparks, Schwanenboote und Karussellpferdchen lugen aus dichtem grünem Blattwerk. Davor liegen Modelle der 19 Gastateliers (grün), der Ausstellungsstudios (rot), von Werkstätten (zyanfarben) und Verwaltung (gelb), wie ein Satz Bauklötze. Das sieht schon in seiner Farbigkeit so einladend aus wie Legoland.

Auslöser für die Idee, solch einen Umzug in Gedanken durchzuspielen, ist die Situation der Bedrängnis, in der sich das Künstlerhaus Bethanien sieht, seit Hausbesetzer in einem anderen Seitenflügel des Bethaniens wohnen und der Bezirk Mitte letzten Jahres einer Umwandlung des Hauses in ein soziokulturelles Zentrum zugestimmt hat. „Wir wollten erforschen“, sagen Dellbrügge & de Moll, „was für Strategien das Künstlerhaus entwickeln kann, um sich nicht nur als Opfer zu beklagen und auf Besitzstandswahrung zu pochen. Kann man nicht von den Besetzern, die zur Identität im Themenpark Kreuzberg gehören, etwas lernen? Zum Beispiel neue Strategien der Raumaneignung?“

Ihre Idee scheint verwegen. Künstler als Kolonisten im Grünen: sehr schnell steigen da Bilder von vergangenen Utopien auf, von industriellen Gartenstädten und Künstlerkolonien der Zwanzigerjahre. Auch der Titel, „New Harmony“, ist von Robert Owen geborgt, einem britischen Siedlungspraktiker und Sozialreformer des frühen 19. Jahrhunderts. Mit Glühlämpchen ist er leuchtend in den Ausstellungsraum hineingeschrieben. Und man ist sich nicht sicher, ob das nicht auch ironisch gemeint ist, eine Replik auf die Feelgood-Attitüde, mit der die Politik inzwischen die Werbewelten nachahmt.

Ironie? Ralf de Moll lächelt ein wenig und bringt in drei knappen Sätzen seine Interpretation der Entwicklung der Demokratie auf den Punkt: Der Bürger ist vom Citoyen erst zum Kunden in der Dienstleistungsgesellschaft und schließlich zum Zuschauer geworden, während sich die Städte in Eventparadiese verwandelt haben. Ein Befund, von dem Christiane Dellbrügge und er in vielen Arbeiten ausgegangen sind. Doch wie sie davon in anschaulichen Modellen erzählen, geht über bloße Beschreibung hinaus: Nach der Lücke suchen, wo man den Hebel ansetzen kann, Handlungsaufforderungen streuen, die Statik des Vorgefundenen aufbrechen, das nehmen ihre Projekte vorweg.

Vor fast zwanzig Jahren trafen die beiden (beide 1961 geboren), die seit ihrem Studium in Karlsruhe zusammenarbeiten, das erste Mal im Künstlerhaus Bethanien ein, um als Stipendiaten ein Gastatelier für einige Monate zu beziehen – und sind seitdem in Berlin geblieben. Wie die Demokratie sich im öffentlichen Raum darstellt, ist dabei seit Anfang der Neunziger eines ihrer Forschungsgebiete. Die Versprechen von Architektur, Stadtplanung und kulturellen Institutionen kommen dabei auf den Prüfstand.

Sie waren gerade von einem zweimonatigen Aufenthalt aus Christiania in Kopenhagen zurückgekommen, als sie von der veränderten Situation im Bethanien erfuhren. „Das kam uns doch alles bekannt vor“, erinnert sich Christiane Dellbrügge. In Kopenhagen hatten sie über die Geschichte des Tivoli und das Aussteigerparadies Christiania geforscht, zwei Bausteine der Identität der Stadt, die vom Druck der Veränderung betroffen sind. Beide bilden in der Boomtown Kopenhagen Orte genau definierter Ausnahmezustände, die in ihren Grenzen gelten dürfen, aber nicht im übrigen Gebiet der Stadt.

Auch von dort stellen sie ihr Denken in Bildern im Künstlerhaus Bethanien vor: Auf großen Fotos sieht man die aus viel recyceltem Material selbstgebauten Häuser Christianias, die wie kleine gelandete Raumkapseln zwischen Bäumen und Wasser liegen. Daneben ist ein „Heimkino“ aufgebaut, und von außen hört man Ausschnitte aus Lieblingsfilmen der Bewohner von Christiania, unter anderem „The Beach“ und „Zardoz“, die alle Geschichten von der Selbsterhaltung einer bedrohten Gemeinschaft erzählen.

Es ist merkwürdig: Selten scheinen die Dinge so klar und einfach zu sein, wie wenn man sich mit Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll unterhält. Ihr Denken wirkt so aufgeräumt wie ihre Ausstellungen. Ob sie mit Zeichnungen, Fotografien, Websites oder Videos arbeiten, stets geschieht es mit einem sichtbaren Vergnügen an grafischen Ordnungen, an modellhaften Darstellungen. Sie zerlegen die Welt in einen Satz von Möglichkeiten.

Dellbrügge & de Moll sind zwar auch privat ein Paar, die Paarbeziehung aber war nie ihr Thema. Zu zweit scheinen sie vielmehr wie das kleinstmögliche Kollektiv, das in seinen Projekten immer nach Erweiterung sucht. Auch „New Harmony“ verstehen sie in diesem Sinn als Raum für eine Debatte, zu der sie Architekten, Kulturmanager, Geografen und Medientheoretiker eingeladen haben.

„New Harmony“, Künstlerhaus Bethanien, Mi–So 14–19 Uhr, bis 20. Mai. Erstes Gespräch „Should we stay or should we go?“ am 11. Mai. Weiteres Rahmenprogramm unter www.bethanien.de