Gekündigt wegen Ehebruchs

RECHTSPRECHUNG Die Kirchen sind der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands. Doch das staatliche Arbeitsrecht gilt hier nur eingeschränkt. Die Folgen spürte zum Beispiel der Organist Bernhard Schüth, die Kirche duldete seine neue Beziehung nicht

■  Das Grundgesetz ist eine religionsfreundliche Verfassung. Es schützt nicht nur die Glaubensfreiheit des Individuums, sondern auch die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften. Dieses Selbstverwaltungsrecht der Kirchen schützt sie aber nicht nur vor Eingriffen des Staates. Es hat auch Folgen für die Beschäftigten.

■  Kirchen dürfen eigene Beamte haben. Pfarrer und Kirchenräte stehen in einem besonderen Treueverhältnis zur jeweiligen Kirche und sind dafür unkündbar.

■  Für alle übrigen Beschäftigten der Kirchen, der (katholischen) Caritas, der (evangelischen) Diakonie und sonstiger kirchlicher Einrichtungen gilt zwar das staatliche Arbeitsrecht, aber mit zahlreichen kirchenfreundlichen Ausnahmen. Rund eine Million Arbeitnehmer sind hiervon betroffen.

■  So dürfen kirchliche Arbeitgeber auch im Privatleben besondere Loyalität von ihren Beschäftigten verlangen.

■  Das Gleiche gilt für Religionslehrer und Theologieprofessoren, die zwar vom Staat bezahlt werden, aber eine Lehrbefugnis der jeweiligen Kirche benötigen.

■  Als Tendenzbetrieb können die Kirchen von ihren Beschäftigten verlangen, dass sie die Werte des Arbeitgebers vertreten. Bei der Einstellung darf die passende Kirchenzugehörigkeit verlangt werden, wenn dies für den konkreten Posten erforderlich scheint.

■  In kirchlichen Einrichtungen gibt es keine Betriebsräte, sondern Mitarbeitervertretungen mit reduzierten Rechten. Das Betriebsverfassungsgesetz gilt nicht.

■  Der Lohn wird in kirchlichen Einrichtungen nicht zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft ausgehandelt. Vielmehr wird ein „dritter Weg“ praktiziert. Der Lohn wird in ausgewogen besetzten „arbeitsrechtlichen Kommissionen“ ausgehandelt. Wenn man sich nicht einigen kann, wird ein neutraler Schlichter eingesetzt. (chr)

VON CHRISTIAN RATH

Weil sich ein fünfjähriges Kind im Kindergarten verplapperte, verlor der Kirchenmusiker Bernhard Schüth 1997 seinen Job bei der katholischen Kirche. Seit 14 Jahren kämpft er nun gegen die Kündigung – inzwischen sogar mit Erfolg. Kaum ein Fall verdeutlicht die Misere des kirchlichen Arbeitsrechts so sehr wie dieser.

Bernhard Schüth spielt Orgel und leitet Chöre. Beides kann er sehr gut, heißt es. Angestellt war er einst bei der katholischen Lambertus-Gemeinde in Essen. Auch dort war man mit Schüth als Kantor sehr zufrieden.

Die Kündigung erfolgte vielmehr aus privaten Gründen. Schüth hatte sich 1994 von seiner Ehefrau getrennt und eine neue Beziehung begonnen. Ganz diskret wohnte er mit der neuen Freundin in einem anderen Stadtteil und sie traten in der Öffentlichkeit auch nicht als Paar auf. Doch dann wurde die Frau schwanger und Schüths kleine Tochter posaunte im Kindergarten heraus: „Mein Papa wird noch einmal Papa!“ Es war ein katholischer Kindergarten und bald musste Schüth zum Rapport bei seiner Kirchengemeinde. Ob er bereit sei, die Beziehung zur schwangeren Freundin zu beenden? Nein, das war er nicht.

Kirchliche Grundsätze

Also wurde sein Arbeitsverhältnis beendet, wegen Ehebruchs. Die Kirchengemeinde berief sich auf die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ von 1993. Dort heißt es: „Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten.“ Es hätte Schüth auch nichts genützt, wenn er sich erst scheiden lassen und dann seine neue Freundin geheiratet hätte. Denn nach katholischem Verständnis ist die Ehe unauflöslich und eine erneute Heirat führt nur zu einer „ungültigen Ehe“.

Schüth war dennoch völlig überrascht über die Kündigung. Unerbittlich streng sind die Konsequenzen der Grundordnung nämlich nur bei Arbeitsstellen in der Erziehung, der Lehre, der Verkündung und bei leitenden Angestellten. Ein Organist fällt eigentlich nicht darunter. Doch die Kirchengemeinde fand, dass der Mann an der Orgel zumindest „verkündungsnah“ sei.

„Als Bürger der Bundesrepublik habe ich das Recht auf ein Privatleben, in das mir mein Arbeitgeber nicht hineinredet“, sagte sich Schüth und klagte gegen die Kündigung. Letztlich hatte er keine Chance, denn in Deutschland gilt seit 1985 eine sehr kirchenfreundliche Rechtsprechung. Danach können die Kirchen selbst bestimmen, wann ihre Glaubwürdigkeit die Kündigung eines Mitarbeiters erfordere. Schüth aber ließ nicht locker. Inzwischen arbeitet er bei einer evangelischen Gemeinde, „im kirchenmusikalischen Asyl“, wie er sagt. Dort bekam er als Katholik aber nur eine Halbtagsstelle.

Doch Schüth hat einen Trumpf auf seiner Seite. Seine Anwältin Ulrike Muhr ist nicht nur Spezialistin für Kirchenarbeitsrecht, sondern auch seine Lebensgefährtin, wegen der er einst den Job verlor. Entsprechend stark setzt sie sich ein.

Im September 2010 gab es einen ersten großen Erfolg. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beanstandete den Freibrief, den die deutsche Justiz der Kirche ausstellte. Die Arbeitsgerichte hätten Schüths Recht auf Privatleben in die Abwägung einbeziehen müssen. Damit wurde Schüths Kündigung zwar nicht explizit für rechtswidrig erklärt, dies aber doch nahegelegt. So bezweifelten die Straßburger Richter, ob ein Organist wirklich so eng mit der katholischen Verkündigung verbunden sei, dass sein Beziehungsleben die Glaubwürdigkeit der Kirche erschüttern könne.

Das Urteil betrifft nicht nur eine kleine Nische des Arbeitsmarkts, vielmehr sind die Kirchen nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands. Bei Caritas und Diakonischem Werk arbeiten Hunderttausende. Nicht alle folgen damit ihrem Glauben, viele wollen einfach nur einen sozialen Beruf ausüben und finden keinen anderen Arbeitgeber. Außerhalb eines Kernbereichs von seelsorgerischen oder leitenden Tätigkeiten müssen die Arbeitsgerichte künftig das Arbeitgeberhandeln der Kirchen zumindest ansatzweise kontrollieren.

In zwei anderen aktuellen Urteilen hat der EGMR Kündigungen allerdings ausdrücklich für berechtigt erklärt. Der Pressesprecher der deutschen Mormonen-Kirche durfte wegen Ehebruchs gekündigt werden, da er „erhöhte Loyalitätspflichten“ habe. Ebenso durfte sich ein evangelischer Kindergarten von einer Erzieherin trennen, die einer dubiosen Sekte angehörte.

Die Gemeinde berief sich auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes

Keine Wiederaufnahme

Auch Bernhard Schüth ist in seiner Sache noch nicht wirklich weiter gekommen. Zwar hatte ihm der Straßburger Gerichtshof Schadensersatz zugebilligt. Doch Verhandlungen mit der Bundesregierung über die Höhe scheiterten, Schüth hat vom Staat noch keinen Pfennig erhalten, jetzt muss doch der EGMR die Summe festlegen. Andererseits wollte Schüth auch eine Wiederaufnahme seines Kündigungsprozesses erreichen, doch dies lehnte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf Anfang Mai aus formalen Gründen ab. Für Urteile, die vor 2006 rechtskräftig wurden, sei keine Wiederaufnahme möglich. Schüth aber gibt nicht auf, er will erreichen, dass diese Stichtagsklausel für verfassungswidrig erklärt wird. Falls ihm dies gelingt, würde in einem neuen Prozess geprüft, ob die Kündigung rechtswidrig war. Hätte Schüth auch hier Erfolg, könnte er von der Kirche Wiedereinstellung verlangen und eine Nachzahlung des ausstehenden Lohns der letzten 14 Jahre. Da geht es um Hunderttausende von Euro.

Die Lambertus-Gemeinde hat allerdings deutlich gemacht, dass sie dem Organist auf keinen Fall entgegenkommen will. „Wir werden Herrn Schüth nicht wieder einstellen“, sagte ihr Anwalt Christian Schäfer. Selbst wenn Schüth die Kündigung wegen Ehebruchs erfolgreich anfechte, gebe es noch eine zweite Kündigung von 1999. Darin wurde dem Musiker vorgeworfen, dass er im Prozess gelogen habe, indem er das private Verhältnis zu seiner Anwältin bestritt. Damit sei das Vertrauen zu Schüth zerstört, so der Kirchenanwalt.

Welche Folgen das Straßburger Urteil über den Einzelfall hinaus hat, wird derzeit unter Arbeits- und Kirchenrechtlern lebhaft diskutiert. Schließlich mischen sich die Kirchen in vielfältiger Weise in das Privatleben ihrer Beschäftigten ein. Die katholische Kirche zum Beispiel erklärte 2001, dass Mitarbeiter, die eine eingetragene Partnerschaft eingehen, damit einen „schwerwiegenden Loyalitätsverstoß“ begehen und gekündigt werden können.

Präzedenzfälle gibt es freilich noch nicht, so der Lesben- und Schwulenverband Deutschlands. Homosexuelle Kirchenmitarbeitern, die sich verpartnert haben, taten dies bisher so diskret, dass die Kirche nichts mitbekam oder jedenfalls ruhig hielt. Doch mit dem Schüth-Urteil im Rücken könnten auch sie künftig offensiv ein Recht auf Privatleben einfordern.