117 Festnahmen in Sankt Petersburg

ST. PETERSBURG/BERLIN taz ■ „Wir brauchen ein anderes Russland“, ein „Russland ohne Putin“, stand auf den Spruchbändern der Demonstranten, die am Wochenende im Zentrum Sankt Petersburgs auf ein Massenaufgebot von aus mehreren russischen Nordprovinzen eilig zusammengezogenen Spezialeinheiten der Polizei trafen.

Russlands locker organisierte Opposition hatte zu einem „Marsch der Andersdenkenden“ in die Metropole an der Newa aufgerufen. Nach Angaben der Veranstalter nahmen an der nicht genehmigten Demonstration zwischen 3.000 und 5.000 Menschen teil. Die Petersburger Innenbehörde beziffert die Teilnehmerzahl unterdessen auf rund 800. Die gewalttätige Auseinandersetzung begann, als der Demonstrationszug den Newski-Prospekt, Petersburgs Prachtboulevard, hinunterzog und nach Angaben der Behörden dadurch den Verkehr blockierte.

Die Omon-Spezialeinheiten des Innenministeriums gingen mit erheblicher Gewalt gegen die Demonstranten vor. Nach Angaben des Internetdienstes NEWSru.com wurden 117 Demonstranten festgenommen, unter ihnen Aktivisten der Nationalbolschewistischen Partei (NBP), die wegen Ordnungsvergehen von Schnellgerichten bereits zu zwei Wochen Gefängnishaft verurteilt wurden. Der Chef der nicht zugelassenen NBP, Eduard Limonow, war schon vor der Veranstaltung vorübergehend festgesetzt worden. Leichte Verletzungen erlitt der Abgeordnete des Stadtparlaments Sergej Gulajew.

Die Dachorganisation der russischen Opposition das „Andere Russland“ hatte zu dem Marsch aufgerufen. Dem Bündnis gehören Gruppen und Grüppchen von rechts bis links außen an. Das stärkste Aufgebot wird von der NBP gestellt, gefolgt von der Bewegung „Vereinigte Bürgerfront“ des Ex-Schachweltmeisters Garri Kasparow. Aber auch gemäßigtere Kräfte wie die liberaldemokratische Partei Jabloko sowie der frühere russische Ministerpräsident Michail Kasjanow schlossen sich dem Bündnis an. Der Marsch sei eine Solidaritätsaktion unterschiedlichster Kräfte, sagte dieser. Trotz wochenlanger Einschüchterung durch die Politiker in Sankt Petersburg seien Tausende dem Aufruf gefolgt.

In Sankt Petersburg finden am kommenden Wochenende Kommunalwahlen statt. Bereits im Vorfeld wurde die Teilnahme Jablokos unter Angabe fadenscheiniger Argumente verhindert. Jabloko verfügt in Sankt Petersburg, der Geburtsstadt Präsident Putins, über eine breite Anhängerschaft. Nach mehr als zwei Jahren war dies die größte Demonstration unabhängiger Kräfte in Russland. KHD