MATTHIAS STÜHRWOLDT GRÜNLAND
: Milch und Kinderverdummung

In der Pixibuch-Broschüre der Molkerei leben die Kühe im Paradies. Mit der Wirklichkeit hat das wenig zu tun

Vor einigen Wochen, noch bevor ich die Molkerei wechselte, erhielt ich von der Marketingabteilung der Molkereigenossenschaft einen Stapel Kinderverdummungsbroschüren über den Weg der Milch von der Kuh in den Laden, im Pixibilderbuchstil. Die sollte ich an möglichst viele Gören verteilen. Am besten wohl, ohne mir das vorher durchzulesen. Aber ich las. Es war erschütternd.

Das Bilderbuch erzählt von Hansi, der so gerne Milch trinkt und wissen will, woher die Milch eigentlich kommt. Hansi besucht einen Bauernhof, dort lebt Bauer Knut mit ungefähr einem Igel, einer Maus, zwei Hühnern und vier Kühen. Die Weiden haben keine Zäune, die Kühe laufen frei herum, haben keine Ohrmarken, dafür aber Hörner. Bei echten Kühen ist das meist umgekehrt.

Knuts Kühe geben mehr Milch, als ihre Kälbchen abnuckeln können. Deshalb bleibt für uns Menschen auch noch Milch übrig, die Bauer Knut den Kühen mit der Melkmaschine absaugt. Das macht den Kühen aber gar nichts aus. Debil grinsend stehen sie im Melkstand. Schwupp, kommt auch schon der Milchwagen, holt die Milch ab und bringt sie zur Molkerei. Dort wird sie in Markenlogo-Milchtüten verpackt und mit einem Markenlogo-Laster zum Supermarkt gebracht, wo sie bald in einem Verkaufsregal neben anderen Markenlogo-Milchprodukten steht, so dass Hansis Vati sie – debil grinsend – in den Einkaufswagen legen kann.

Was für ein Mist, ehrlich. Gerade von Bauern hört man immer wieder, dass die Verbraucher keine Ahnung von und kein Verständnis für Landwirtschaft haben. Aber was für ein Bild haben die auch von Landwirtschaft! Nahezu jede Eierpackung zeigt idyllische Fachwerkhöfe im Sonnenschein, auch wenn die Hühner, die die Eier legten, die Sonne niemals sahen. Der eingeschweißte Kochschinken suggeriert Landleben mit guter Luft, während es einem von dem unangenehmen Gasgemisch, das aus dem Schweinestall dringt, in den Atemwegen kneift.

Und die Wahrheit ist: Es wird nicht besser. Die Tierbestände werden größer, die Stallanlagen zu industriell anmutenden Gebäudekomplexen. Hier in Schleswig-Holstein geht der Trend zur Hähnchenmast. Anscheinend ist Niedersachsen jetzt voll mit Hähnchenställen; deshalb suchen die Konzerne ihre Vertragsmäster jetzt auch bei uns im Land. In 2.000-Quadratmeter-Ställen werden 39.000 Hähnchen in 42 Tagen schlachtreif gemästet. Wie man das niedlich im Kinderbuch darstellt, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Die Kinderverdummungsbroschüren habe ich nicht zum Absender zurückgeschickt. Der hätte nur dummes Zeug damit gemacht. Ich habe sie vernichtet.