Es gelten deutsche Geschäftsbedingungen

Selbstständigkeit war für Vietnamesen lange die einzige Chance. Heute hat sich ihre Nischenökonomie überlebt

BERLIN taz ■ Wenn er genug Geld für Benzin hat, fährt Dung sonntags von Rostock nach Berlin und kauft Waren für seinen Asialaden. Billigkleidung, Geschenkartikel und Haushaltswaren, die der Vietnamese an der Ostsee wieder verkauft, findet er in drei asiatischen Großhandelszentren im Osten Berlins.

Die Fahrt ist für Dung mehr als der Warenkauf. Sie ist Familienausflug – der einzige, den sich seine Familie gönnt. Hier werden den Kindern die Haare geschnitten, während Dung und seine Frau in einer Pagode beten. Außerdem ist das Center Marktplatz für Neuigkeiten. Die sind derzeit nicht gut: Statt zu den vietnamesischen Einzelhändlern tragen die deutschen Verbraucher, aber auch die vietnamesischen Landsleute ihr Geld immer öfter zu den heimischen Discountern und Kaufhäusern.

Nach dem Ende der DDR verloren die 60.000 Vertragsarbeiter aus Vietnam als Erste ihre Jobs. Rund 14.000 sind geblieben. Für sie war die wirtschaftliche Selbstständigkeit die Alternative zur Arbeitslosigkeit. Ganz ohne Fördermittel entstand ein Netzwerk aus Importeuren, Groß- und Einzelhandelsläden für Billigtextilien, Obst, Gemüse, Blumen und Geschenkartikeln. Allein die Stadt Dresden verzeichnet 650 Gewerbe von Vietnamesen – bei 2.000 vietnamesischen Einwohnern.

Doch der Schwung der 90er Jahre, als vietnamesische Familienunternehmen erfolgreich viele Nischen besetzen konnten, ist einer anhaltenden Krise gewichen. Auch wenn die Kleinunternehmer wie Dung und seine Frau sechs Tage in der Woche 12 Stunden arbeiten und auch die Kinder in den Ferien mithelfen. Vor allem der Boom der Textilindustrie in Vietnam und China macht den in Deutschland lebenden Vietnamesen das Leben schwer. Als die Textilhersteller aus Fernost noch kaum Zugang zu deutschen Handelsketten hatten, waren die vietnamesischen Kramläden ihre einzige Möglichkeit. Jetzt gibt es die Ware in vielen Kaufhäusern.

Zudem rächt sich inzwischen, dass viele Unternehmensgründungen in den 90er Jahren allein dem Druck des Ausländerrechts geschuldet waren: Nur wer seinen Lebensunterhalt sehr schnell selbst verdiente, durfte bleiben. Langfristige Marktstrategien und zielgerichtete Qualifikationen waren kein Thema – und sind es bis heute nicht.

Kaum jemand ist so innovativ wie Vo Van Long, der das erste vietnamesische Hotel in Berlin eröffnete. Es bietet Geschäftsleuten aus Vietnam sowie Auslandsvietnamesen aus Frankreich und den USA fernöstliches Flair in der Hauptstadt – auf hohem fachlichen Niveau.

Die meisten vietnamesischen Unternehmer dagegen stellen immer noch lieber unqualifizierte Verwandte ein, die versorgt werden müssen, als Fachkräfte, die den Betrieb retten könnten. Und wenn doch, offenbaren sich grundlegende kulturelle Differenzen. Birgit D. ist eine der wenigen Deutschen, die Erfahrung in einer vietnamesischen Firma hat. Die gelernte Reisebürokauffrau sollte deutsche Kunden für einen Flugticketverkauf akquirieren. „Mein Chef konnte sich nicht umstellen“, sagt sie. „Er wollte kein Geld für Schaufenstergestaltung ausgeben.“ Und er konnte sich nicht abgewöhnen, im Büro zu kochen, auch wenn die Dünste jeden nichtvietnamesischen Kunden verjagten. Allgemeine Geschäftsbedingungen fehlten ganz, es galt vietnamesisches Gewohnheitsrecht. „Damit wären wir in jedem Rechtsstreit unterlegen“, sagt die Mittfünfzigerin. Nach nur zwei Monaten war sie den Job wieder los.

Der deutsche Wortschatz vieler Kleinhändler beschränkt sich auf das, was für ein Verkaufsgespräch nötig ist. Wirtschafts- und Rechtskenntnisse erwerben sie im Gespräch mit oft ebenso unkundigen Landsleuten. Sie agieren deshalb trotz Selbstausbeutung erfolglos. Die neuesten Geschäftsideen heißen nun Sushi-Bars und vor allem Nagelstudios. Ausstatter und Ausbilder kommen aus den USA. Es sind aber Vietnamesen, die jetzt viel Geld damit verdienen, ihren Landsleuten in Deutschland das Handwerk beizubringen. MARINA MAI