„Lenné hätte nichts gegen das Grillen gehabt“

GRÜNE LUNGE Einst als Lustpark für die Bevölkerung angelegt, ist der Tiergarten heute auffallend öde. Die Parkanlage ist für die Menschen da, sagt Klaus Neumann, Professor für Garten- und Landschaftsbau, und denkt dabei an Veranstaltungen wie Konzerte, islamische Festgebete oder Einschulungsfeiern

■ ist Professor für Landschaftsarchitektur und Umweltplanung, Urbanes Pflanzen- und Freiraum Management an der Beuth Hochschule für Technik Berlin. Außerdem arbeitet er freischaffend als Landschaftsarchitekt. Seit 2009 ist Neumann Mitglied des Kuratoriums der Lenné-Akademie für Gartenbau und Gartenkultur.

INTERVIEW CLAUDIUS PRÖSSER

taz: Herr Neumann, im Vergleich zu den großen Parks anderer Metropolen ist der Tiergarten auffallend menschenleer. Es gibt auch viel weniger Angebote – keine Liegestühle, keine Sportflächen, keine Kioske. Warum eigentlich nicht?

Klaus Neumann: Das hat auch mit der unterschiedlichen Entstehungsgeschichte zu tun. In Deutschland und auch in Berlin sind Parkanlagen fast immer auf Anweisung von oben entstanden – von Fürsten, Großgrundbesitzern oder Industriellen. Sie haben sich dann erst im Laufe der Zeit für die Gesellschaft geöffnet. In vielen anderen Ländern sind die Parks dagegen aus der Gesellschaft und ihren Bedürfnissen heraus entstanden. Das zeigt sich auch darin, dass sie eine völlig andere Vermarktungsstruktur haben. Nehmen Sie den Bryant Park oder den Central Park in New York, den Stanley Park in Vancouver – diese Anlagen haben eigenständige Betriebs- und Vermarktungsorganisationen, die bringen Geld, auch wenn sie frei zugänglich sind.

Und hier kosten sie nur Geld?

Als öffentliche, gemeinnützige Grünanlagen müssen sie kein Geld verdienen und sind insofern Kostenfaktoren. Sie werden in keiner deutschen Parkanlage irgendeine Form von Werbung finden. Keine Werbung bedeutet aber auch: keine Veranstaltung. Deswegen gibt bei uns fast nirgendwo Konzerte in Parks. Und wenn Sie einen Eiswagen finden, haben Sie Glück gehabt. Auf der anderen Seite fehlen den Grünflächenämtern die Ressourcen, sie sparen deshalb bei der Qualität der gärtnerischen Pflege. Viele kleinere Parks verfallen regelrecht. Ein verfallender Tiergarten würde aber gleichgesetzt mit einem verfallenden Berlin. Aus Imagegründen genießt er die höchste Pflegestufe.

Mit Ihrem Büro für Landschaftsarchitektur sind Sie im Auftrag des Landes Berlin gutachterlich für den Tiergarten tätig. Worum geht es dabei?

Unser inhaltlicher Schwerpunkt ist die Auseinandersetzung mit dem Wandel der Stadtgesellschaft. Wir fragen, wie sich Anlagen städtischer Natur verändern müssen, um gesellschaftlichen Veränderungen zu entsprechen. Etwas Neues zu machen, ist bei bestehenden Parks fast unmöglich, weil es immer Bestandsschutz, Artenschutz und Denkmalschutz gibt. Da geht es um Bäume, die nicht gefällt werden dürfen und um Emotionen von Menschen. Parkanlagen sind sehr statisch, und wenn sie verändert werden, dann meist, um historische Zustände wiederherzustellen.

Das ist im Tiergarten ja auch geschehen …

Aber auch im Tiergarten können Sie nicht einfach sagen: Ich stelle den jetzt im Sinne Lennés (preußischer Landschaftsarchitekt – d. Red.) wieder her. Dann kommen andere und pochen auf die barocken Pläne von Knobelsdorff. Und andere berufen sich auf Willy Alverdes, der den Tiergarten in den fünfziger Jahren wiederaufgeforstet hat. Dieser Park hat eine historische Schichtenfolge von gedanklichen Entwicklungen seiner Gestalter, die alle in ihrem spezifischen gesellschaftlichen Kontext gewirkt haben.

Welche historische Schicht dominiert denn heute?

Ich denke, man hat da inzwischen eine gute Struktur gefunden. Richtig ist, dass Lenné eine Art Übervater darstellt. Wenn Sie heute die Leute fragen, würden wohl 80 Prozent sagen, dass der Tiergarten sein Werk ist. Aber die Entwicklungsphasen davor und danach darf man nicht verleugnen. Ich benutze da gern das folgende Bild: Auch in ein modernes Wohnzimmer mit Designermöbeln passt ein wunderbarer Barockschrank. Die Korrelation zwischen Neu und Alt kann eine Bereicherung sein. Gefährlich ist es, wenn man über eine solche Anlage komplett die Käseglocke des Denkmalschutzes stülpt.

Was würde dann Ihrer Meinung nach passieren?

Über einen solchen Park würde die Zeit hinweggehen, die Menschen würden ihn früher oder später für ihre Nutzungen adaptieren, ob wir diese wollen oder nicht. Ganz einfach, weil sich die Gesellschaft in Sachen Altersstruktur oder Herkunft völlig verändert hat. Glauben Sie wirklich, die heutigen Kinder oder die folgende Generation haben noch eine innere Beziehung zu Lenné? Oder die Zugewanderten? In der türkischen Gesellschaft etwa spielt sich viel mehr Alltag im öffentlichen Raum, im Park ab. Wenn wir wollen, dass diese Menschen mit dieser Tradition bei uns leben, müssen wir ihnen doch auch diese Möglichkeiten anbieten.

Bei der Debatte über das Grillen kam genau das Gegenteil heraus: Jetzt ist diese Nutzung komplett verboten.

■ Am Anfang war das Wild: Im 16. Jahrhundert diente das Gelände des heutigen Tiergartens den Kurfürsten als Jagdrevier. Unter dem ersten preußischen König Friedrich I. wurde eine Schneise zum Schloss Charlottenburg geschlagen. Später hieß sie Charlottenburger Chaussee, heute Straße des 17. Juni.

■ Friedrich II. ließ aus dem Tiergehege endgültig einen Park entwickeln. In seinem Auftrag gestaltete Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff ab 1742 zentrale Flächen im barocken Stil. Auch eine Fasanerie wurde eingerichtet – aus ihr wurde später der Zoologische Garten.

■ Ende des 18. Jahrhunderts entstand der Schlosspark Bellevue. Zwischen 1833 und 1840 modellierte der Landschaftsgärtner Peter Joseph Lenné einen Volkspark im englischen, naturnahen Stil.

■ Die Nazis versetzten die Siegessäule auf den Großen Stern und verbreiterten die Charlottenburger Chaussee – wovon später Raver und Fußballfans profitierten.

■ Ende der 40er Jahre vollendete die Not die Zerstörungen des Krieges. Die meisten Bäume landeten in den Berliner Öfen. Ab 1949 wurde aufgeforstet, federführend war Tiergartendirektor Willy Alverdes. Er schuf einen Erholungspark, bis auf einige Alleen verschwanden die barocken Elemente. Nach dem Mauerfall wurden diese Strukturen wieder herausgearbeitet. (clp)

Ich verstehe die Perspektive des Grünflächenamts, weil das hohe Pflegekosten verursacht. Aber die Parkanlage ist für die Menschen da. Wenn wir sie nicht für die Gesellschaft von morgen öffnen, nehmen sich die Menschen sie irgendwann selber. Das ganze Guerilla-Gardening ist doch ein Zeichen dafür, dass hier Nutzungen gewünscht werden, die im vorhandenen Stadtgrün nicht möglich sind. Sei es, dass die Leute Kartoffeln anbauen oder ihren Kindern einen Bezug zur Natur vermitteln wollen. Ich bin fest davon überzeugt: Lenné hätte nichts gegen das Grillen gehabt.

Auch unter äußeren Einflüssen leidet der Tiergarten – etwa unter dem Lärm der großen Verkehrsachsen.

Das sehe ich nicht als Nachteil. Absolute Ruhe erwarte ich in einer Metropole nicht. Zum städtischen Leben gehört auch eine bestimmte Geräuschkulisse, genauso wie das Johlen von Kindern auf dem Spielplatz. Wer die perfekte Kontemplation sucht, muss eben woanders hingehen.

Dann haben Sie vermutlich auch kein Problem mit den Großveranstaltungen auf der Straße des 17. Juni?

Ich wäre strikt dagegen, diese Nutzung auszuschließen. Sicher, man muss auf den Schutz des Parks achten. Aber deshalb Veranstaltungen wie die Fanmeile oder den Marathon nicht durchzuführen, würde dem Sinn einer städtischen Parkanlage völlig widersprechen. Möglich ist erst einmal alles, das ist eine Frage der Politik. Im Tiergarten wäre so viel denkbar – ein Friedenskonzert zum Gedenken an den Mauerfall oder ein islamisches Festgebet oder eine große Einschulungsfeier. Was wie schon erwähnt noch völlig fehlt, sind Veranstaltungen oder Konzerte, die den Park mit seiner Natur selbst zu einem Erlebnisort machen. Wissen Sie eigentlich, wo Pavarotti eines seiner schönsten Konzerte gegeben hat? Im Central Park.