: Wie Satelliten auf der Umlaufbahn
2013 wurden 36 „Tatorte“ gedreht. Bei nur drei Folgen führten Frauen Regie
■ ist Filmemacherin, Produzentin, Autorin, Lektorin und Kuratorin.
■ Gerade erschien ihre gemeinsam mit Claudia Lenssen edierte Anthologie: „Wie haben Sie das gemacht? Aufzeichnung zu Frauen und Filmen“ (Schüren Verlag). Sämtliche Zitate aus dem Essay sind diesem Buch entnommen.
■ Von 2006 bis 2012 drehte sie 65 Folgen der Daily Soap „Verbotene Liebe“. 2012 lief ihre Doku „Wo ich bin ist oben“ auf dem Markt des A-Festival in Cannes.
Frauen sind heute überall präsent, wo Filme erdacht, gemacht und vermittelt werden. Sie sind Regisseurinnen, Autorinnen, Produzentinnen, Kamerafrauen. Als Redakteurinnen beim Fernsehen sind sie sogar fast in der Überzahl. Rund fünfzig Jahre nach dem Aufbruch der Frauenbewegung scheint die gesetzlich verankerte Gleichberechtigung hergestellt zu sein – könnte man meinen. Doch wie kommt es, dass plötzlich überall Quotenforderungen laut werden, in Politik und Wirtschaft und jetzt auch noch in der Kultur?
Der Verein Pro Quote Regie, gegründet von zwölf Regisseurinnen, der jetzt an die Öffentlichkeit geht, fordert eine Quote für Frauen im Regiebereich und bei der Vergabe öffentlicher Fördergelder. Ausgerechnet hier, wo künstlerischer Ausdruck und Freiheit die Qualität bestimmen sollten – soll nun das Geschlecht ein Auswahlkriterium sein? Wieso zwingen sie uns, uns schon wieder mit der Differenz der Geschlechter auseinanderzusetzen? Weil sich verfassungsrechtliche Grundsätze wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht von allein durchsetzen.
Zahlen zum Zustand der deutschen Filmwirtschaft listet die staatliche Filmförderungsanstalt (FFA) alljährlich haarklein auf. Aber Zahlen zum Anteil der Frauen in dieser für die Bewusstseinsbildung wichtigen Branche gibt es nicht. Vor gut einem Jahr rechneten daher Katinka Feistl, Imogen Kimmel, Tatjana Turanskyj und Annette Ernst selbst aus, wie viel staatliche Fördergelder in welche Richtung flossen. Und der Verdacht einer geschlechterspezifischen Ungleichbehandlung bestätigte sich: 2013 förderte die FFA 56 Spielfilme, davon sieben Filme mit Frauen als Regisseurin. Der Deutsche Filmförderfonds (DFFF) vergab im Vorjahr Produktionszuschüsse in Höhe von gut 62 Millionen Euro. Nur 6 Millionen Euro flossen an Filme, in denen Frauen Regie führten.
Die Primetime-Sendeplätze der ARD am Sonntagabend weisen in den Jahren 2010 bis 2013 nur in 7,5 Prozent Frauen in der Position „Regie“ aus. Bei 36 „Tatorten“, die 2013 gedreht wurden, führten nur bei drei Folgen Frauen Regie. Mit Qualität lässt sich das nicht erklären, denn die war bei den 33 „Tatorten“ durchaus unterschiedlich. Wie kommt es, dass von den 42 Prozent talentierter und gut ausgebildeter Hochschulabsolventinnen nur rund 15 Prozent Filme drehen kann? Und das auch noch mit einem durchschnittlich um 20 Prozent geringeren Budget?
Frauen findet man gemeinhin dort, wo viel soziales Engagement und wenig Gehalt angesagt sind. Regisseurinnen von Film und Fernsehen finden sich am häufigsten dort, wo Filme auf No- und Low-Budget-Ebene produziert werden müssen.
Die Filmemacherinnen in Deutschland sind mit ihrer Forderung nach einer Quote nicht allein. In Schweden müssen seit 2012 mindestens 40 Prozent des Filmförderungsbudgets an Frauen in den Positionen Regie, Drehbuch oder Produktion vergeben werden. In Frankreich, Großbritannien und auch in den USA gibt es ähnliche Initiativen für Chancengleichheit. Dass freiwillige Selbstverpflichtung auch nach hinten losgehen kann, hat sich in England gezeigt. Hier gab es nach der Einführung einen Einbruch der Statistiken auf unter 10 Prozent. Selbstverpflichtung funktioniert nicht.
Dabei ist die Quotenforderung ein alter Hut. Bereits im März 1988 resümierte die Filmemacherin und Professorin Helke Sander: „Der Mangel von Frauen im Filmgeschäft liegt nicht an der mangelnden Kompetenz von Frauen, sondern an einer fehlenden Bereitschaft, ihren Fantasien, Erfahrungen, Planungen und Entscheidungen über das, was für sie wichtig ist, Raum zu geben.“ Der Verband der Filmarbeiterinnen und eine große Zahl von Unterstützerinnen – unter ihnen Claudia von Alemann, Helke Sander, Jutta Brückner, Renée Gundelach, Helga Reidemeister – reichten damals zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Verfassungsbeschwerde ein, die unter Berufung des Gleichheitsgrundsatzes in Artikel 3 GG eine geschlechterparitätische Besetzung aller mit öffentlichen Mitteln operierenden Film- und Fernsehgremien einforderte. Die Initiative wurde abgelehnt. Begründung: „Die aus der faktischen Zusammensetzung der Förderinstitutionen und Gremien geschlossene abstrakte Gefahr diskriminierender Fördermittelvergabe reicht zur Begründung individueller Grundrechtsverletzungen der Beschwerdeführerinnen nicht aus.“
Während sich Frauen in den 1970er Jahren gegen eine Ausgrenzung aufgrund festsitzender Ressentiments gegen Frauen in künstlerischen Berufen generell zur Wehr setzen mussten, sind die Ursachen für die Schieflage heute perfider. Es geht um einen ökonomischen Verteilungskampf: Wer nicht vorkommt, der ist eben nicht gut genug für diesen Markt, so lautet das Argument. Die Vermutung liegt nahe, dass Frauen, die eine Quote fordern, sich schlichtweg auf andere Weise nicht durchsetzen können. Ist für sie die spießige Quotenforderung ein Weg, die ohnehin vorherrschende Mittelmäßigkeit des deutschen Fernsehens noch weiter zu verwässern?
Das denken nicht nur manche Männer, sondern auch viele Frauen. Denn bisher gelingt der Aufstieg, wenn überhaupt, ja meist mithilfe eines Mannes. Um erfolgreich zu sein, scheint es daher wichtiger, sich von anderen Frauen abzugrenzen, als sich mit ihnen zu solidarisieren. Niemand will in die „Frauenecke“ abgeschoben werden, jede hofft, eine der wenigen zu sein, die alle paar Jahre wieder einen Film auf einem A-Klasse-Festival zeigen darf. Heute verbinden zumal jüngere Frauen den Begriff Feminismus oft mit Selbststigmatisierung. Wer will schon „Opfer“ sein, funktionsuntüchtig auf einem Dienstleistungsmarkt, auf dem die Wettbewerber vorüberziehen wie Satelliten auf der Umlaufbahn, immer mehr, immer schneller – und unerreichbar?
Wenn wir unser Grundgesetz und die darin verankerte Gleichberechtigung nicht infrage stellen wollen, dann auch, weil wir davon ausgehen, dass die Talente zwischen Männern und Frauen gleichmäßig verteilt sind. Das bedeutet, dass bei 85 Prozent regieführender Männer nicht alle talentiert sind, während zwischen den 42 Prozent der Hochschulabsolventinnen und den 15 Prozent Regisseurinnen die tatsächlich auf dem Markt landen, eine Menge Talent verloren geht. Jetzt geht es darum, den Scheinwerfer auf die Talente zu richten, die ansonsten im Verborgenen bleiben. „Gleichberechtigung ist keine Privatsache von uns Frauen, die einmal mehr Regie führen wollen, es ist eine grundsätzliche Angelegenheit“, sagt die Regisseurin Sabine Derflinger. Sie ist eine der wenigen Frauen, die einen „Tatort“ drehen durfte. Es geht um ein strukturelles Ungleichgewicht, das sich nur durch einen Eingriff von außen verändern lässt. Und es geht nicht darum, geniale Filme durch eine Quote zu verhindern, sondern der Vielfalt, die Grundbedingung für eine profunde Meinungsbildung in einer Demokratie ist, einen größeren Raum zu verschaffen.
Die Schauspielerin Belinde Stieve veröffentlicht in ihrem Blog auf www.outtakes.de Statistiken zur Verteilung von Frauen- und Männerrollen im deutschen Fernsehen beziehungsweise den von der Filmakademie für die höchstdotierten deutschen Filmpreise nominierten Kinofilmen. Ihr Befund: Frauen sind auf dem Bildschirmen allgegenwärtig, doch ihre Rollen sind zumeist stereotyp. Die Casting-Direktorin Anja Dihrberg weist immer wieder darauf hin, dass die Besetzung von Frauen mehr und mehr in Richtung Püppchengesicht geht. Das hat schwerwiegenden Einfluss auf die Vorbilder der jungen Generation. Es fehlt an starken und positiven Vorbildern. „Es fällt mir auf, dass es keine klassische Tradition weiblicher Heldinnen gibt. Danach sehne ich mich manchmal, ohne zu wissen, wie sie aussehen könnte“, erzählt die Regisseurin Maren Ade*. Filme von Frauen können dazu beitragen, langfristig den Kanon und damit die kollektive Wahrnehmung zu verändern.
Doch komplexe Frauenrollen in einer konsumorientierten Film- und Medienkultur zu finden, die Frauen jenseits der vierzig gern von der Bildfläche verbannt, scheint aussichtslos. Auch hier könnte eine Quote helfen. Denn dass Frauen zur Dekoration dienen oder stereotypisiert werden, liegt laut einer internationalen Studie der University of California auch daran, dass so wenig Frauen Regie führen.
Pro Quote Regie möchte keine Ursachenforschung betreiben, dafür müssen wissenschaftliche Studien in Auftrag gegeben werden. Der Verein fordert die Quote als juristische Umsetzung der Gleichstellung, die auch nach über fünfzig Jahren noch nicht realisiert ist. Eine Quote für die Vergabe von Regieaufträgen im Fernseh- und Filmbereich: 30 Prozent in drei Jahren, 42 Prozent in fünf Jahren und 50 Prozent in zehn Jahren. Auch eine paritätische Besetzung der Entscheidungsgremien aller Filmförderungen ist überfällig. Erst, wenn diese Forderungen erfüllt sind, gilt die Binsenweisheit: Frausein allein ist noch kein Film.BETTINA SCHOELLER
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