Linke Szene lässt sich nicht einschüchtern

Nach den Razzien gegen die linke Szene demonstrieren in Kreuzberg spontan mehr als 4.000 Menschen „gegen G 8 und Repression“. Die Polizei zeigte starke Präsenz – doch die von ihr erwarteten Ausschreitungen fanden nicht statt

„Das ist ja wie in den 80ern“, murmelt ein älterer Mann am Rande des Mariannenplatzes. Er hat nicht ganz Unrecht: Eine derart große Spontandemo hat es in Berlin seit mehreren Jahren nicht mehr gegeben – auch nicht im ansonsten protestverwöhnten Kreuzberg.

Mehr als 4.000 DemonstrantInnen haben sich am späten Mittwochabend auf dem Heinrichplatz zusammengefunden, um „gegen G 8 und Repression“ zu demonstrieren. Am Morgen hatte das Bundeskriminalamt deutschlandweit rund 40 Objekte von vermuteten G-8-Gegnern durchsucht. Allein im Großraum Berlin waren 23 Büros und Wohnungen betroffen. Begründet wurde die Großrazzia mit Ermittlungen im Zusammenhang von Paragraf 129 a – „Bildung einer terroristischen Vereinigung“. „Ein dicker Brocken“, kommentierte ein Demonstrant. Das könne man so nicht stehen lassen. Deswegen sei er auf der Straße. „Ich bin richtig sauer, dass hier mit einer total fadenscheinigen Begründung eine Repressionswelle gegen die G-8-Proteste gestartet wird“, ergänzte Jule. Die 32-Jährige hatte ihr Kleinkind im Kinderwagen zur Demo mitgenommen. Auch Lena hatte sich spontan zur Teilnahme entschlossen: „Bisher war ich noch auf keiner G-8-Demonstration. Aber als ich heute Nachmittag die Flyer an der Uni gesehen habe, war für mich klar, dass ich mitgehe“, sagte die 21-jährige FU-Studentin.

Auch wenn die Mobilisierungen über SMS- und E-Mail-Verteiler den ganzen Tag über auf Hochtouren liefen – mit so vielen Teilnehmern hatten nicht einmal die Veranstalter gerechnet. „Die Demo zeigt deutlich, dass wir eine Kriminalisierung der legitimen Proteste gegen den G-8-Gipfel nicht hinnehmen werden“, sagte Lars Laumeyer, Sprecher der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB), deren Gruppe von der Razzia ebenfalls betroffen ist. Die Taktik der Polizei sei nicht aufgegangen. Sie habe nur dafür gesorgt, dass sich noch mehr Menschen an der G-8-Kampagne beteiligten.

So ähnlich sahen es wohl die meisten TeilnehmerInnen. „Wir sind alle 129 a“ oder „BKA, macht euch nichts vor, die Razzia war ein Eigentor“, riefen sie.

Die Spontandemo wurde von einem Großaufgebot der Polizei begleitet. Mit rund 570 Beamten war sie im Einsatz. Bereits seit dem frühen Nachmittag waren an vielen Straßenecken Blaulichter zu sehen. Viele DemonstrantInnen wurden von den Polizisten zunächst gefilzt, bevor sie auf die Demo gelassen wurden. Vom deeskalierenden Konzept des 1. Mai, sich möglichst bedeckt zu halten, war nicht mehr viel zu spüren. Und dennoch ließen sich die DemonstrantInnen nicht provozieren. Die von den Sicherheitsbehörden zuvor noch prognostizierten Ausschreitungen blieben aus.

Die meisten TeilnehmerInnen blieben bis zum Schluss. Diszipliniert und in engen Ketten geklammert liefen sie zwei Stunden lang durch Kreuzberg. Erst gegen 23 Uhr löste sich der Protestzug am Schlesischen Tor auf.

JOHANNES RADKE