Die Ästhetik der Blüten

Was in England schon im 19. Jahrhundert anerkannte Kunstform war, findet in Deutschland kaum Beachtung: die Gartengestaltung. Dabei liegt der Erholungsort Garten voll im Trend, sagt die Gartengestalterin Susanne Siebuhr

VON MART-JAN KNOCHE

Wo liegt das Paradies des modernen Stadtmenschen? So er einen hat, in seinem Vorgarten. Umgeben von Blüten und Düften, im kühlenden Schatten der Kastanie in der Mittagshitze oder auf dem Gartenstuhl in der Abendsonne findet der Städter eine Lichtung im hektischen Treiben seiner urbanen Lebenswelt. Theoretisch.

In der Praxis bleibt die gärtnerische Umsetzung oft die persönliche Utopie eines rat- und mutlosen Gartenbesitzers. Der Umgang mit der gedeihenden Natur in den Beeten fällt dem technokratisch domestizierten Zivilisten nicht leicht. Bisweilen scheitert er Jahr für Jahr an seinem „großen Vorhaben“: sich endlich dem Flurstück hinterm Haus zu widmen, aufzuräumen, ihm die passende Gestalt zu verleihen.

„Die Gartenarbeit wird bald zum Feind“, sagt die Gartengestalterin Susanne Siebuhr, „wenn beim Besitzer ein Gefühl der Überforderung aufkommt.“ Bei der Planung der Arbeiten fehle es meist an Struktur. Das führe zu Frustrationen, zu einem „Leidensdruck, der abschreckend wirkt“, sagt die Hamburgerin. Dennoch: „Der Garten als Ruhezone liegt absolut im Trend“, so Siebuhr. Sie erkennt in dem gesteigerten Interesse eine „Gegenbewegung zu den Kommunikationstechnologien, die die Geschwindigkeit unseres Lebens erhöht haben“.

Das richtige Vorgehen? Zunächst, sagt Siebuhr, müsse man die eigenen Bedürfnisse ergründen: Habe ich Kinder? Wann halte ich mich im Garten auf? Wie aktiv nutze ich ihn? Dann könne man prüfen, ob die aktuelle Situation – Terrasse, Wege, Teiche, Beete – dem entsprächen. „Die baulichen Einrichtungen“, sagt Siebuhr, „sollten, wenn man einen Garten neu gestaltet, zuerst festgelegt werden.“ Wie die Pflanzen eingesetzt, wie Farben und Düfte komponiert würden: All das komme danach.

Gärten gestaltet die Hamburgerin mit so ziemlich jeder Pflanze, aber auf Stauden hat sie sich spezialisiert. Lilien, Rittersporn, Hosta und Enziane gehören zu diesen mehrjährig blühenden krautigen, nicht verholzenden Pflanzen.

Fachgärtner auf diesem Gebiet seien selten in Deutschland, sagt Siebuhr. Dabei avancierte die Staudengestaltung im England des 19. Jahrhunderts zur bedeutendsten Disziplin der Landschaftsgärtnerei und prägt noch bis heute die internationale Ziergartenkultur. Ein Vorbild aus der Zeit sei die englische „Garten-Lady“ Gertrude Jekyll, sagt Susanne Siebuhr.

Die selbstständige Staudenexpertin sieht ihre eigene Arbeit durchaus in der Tradition der Gartenkünste. Einen „Spannungsbogen“ wolle sie in jedem Garten neu erzeugen. Die Ästhetik der Farben, Gerüche, der Blattstrukturen, des Wuchshabitus, Standorts und Blühzeitpunkts: Natur, Sinne, Raum und Funktionalität verschmelzen in dieser Kunstrichtung, die in Deutschland kaum jemand ernsthaft beachtet.

„Ich scheue mich aber, meine Arbeit zur Wissenschaft zu erklären. Der private Gartenbesitzer kann sich aber, wenn er ernsthaft interessiert ist, viel Wissen aneignen.“ Ziel ihrer Arbeit sei „ein Garten, der den Sinnen zu jeder Jahreszeit etwas bietet“. Sie möchte, dass man den als Ergänzung, vielleicht als Privileg empfindet. Und nicht „als Widerspruch zur Leistungsgesellschaft“.

Kontakt: Susanne Siebuhr, ☎ 040/45 03 89 96