Der Sitzstreik geht weiter

JEMEN Nach der Ausreise von Präsident Saleh fordern junge Oppositionelle die Einsetzung einer Übergangsregierung. Andere möchten den Vizepräsidenten im Amt sehen

„Man kann die Freude in den Gesichtern der Menschen sehen“

EIN DEMONSTRANT IN SANAA

SANAA/RIAD rtr/dapd/afp | Der Klinikaufenthalt des jemenitischen Präsidenten in Saudi-Arabien hat in seiner Heimat die Hoffnung auf einen Machtwechsel genährt. Die Bevölkerung in der Hauptstadt Sanaa feierte in der Nacht zum Montag die Ausreise von Ali Abdullah Saleh, als wäre damit das Ende seiner fast 33-jährigen Herrschaft sicher. Tatsächlich war zunächst unklar, wer Jemen regieren wird.

Nach Informationen eines Oppositionsvertreters forderten internationale Vermittler Saleh noch vor seiner Abreise nach Saudi-Arabien zur schriftlichen Machtübergabe an Vizepräsident Abd-Rabbu Mansur Hadi auf. Dazu sollte Saleh ein entsprechendes Dekret unterzeichnen. Saleh habe dies abgelehnt und eine mündliche Vereinbarung angeboten, sagte der Vertreter einer Oppositionspartei am Sonntag. Bestätigt wurde dies von einem ausländischen Diplomaten, der in die Reise Salehs involviert war. Zu den vermittelnden Staaten gehören die USA und Saudi-Arabien.

Vizepräsident Hadi beriet sich noch am Sonntag mit Militärs sowie dem US-Botschafter und wollte am Montag EU-Vertreter treffen. Vertreter der Oppositionsparteien sprachen sich dafür aus, ihm für eine Übergangsphase die Macht ganz zu übertragen.

Demgegenüber forderten Vertreter der Protestbewegung die Einsetzung eines Übergangsrats für die Einleitung eines politischen Wandels. In einer Erklärung sprach sich die die „Revolutionäre Jugend“ dafür aus, alle politischen Kräfte in einem „nationalen Übergangsrat“ zu vereinen, der eine neue Verfassung ausarbeiten und eine „Regierung aus Fachleuten“ einsetzen solle.

Die junge Protestbewegung, die seit dem 21. Februar auf einem Platz in Sanaa kampiert und den Rücktritt Salehs fordert, begrüßte in ihrer Erklärung dessen Ausreise. „Die Revolution hat ihr oberstes Ziel erreicht: Saleh ins Abseits zu stellen“, erklärten sie. Sie kündigten an, ihren Sitzstreik aufrechtzuerhalten, bis alle Ziele ihres friedlichen Protests erreicht seien.

Unterdessen hielt in Sanaa eine brüchige Waffenruhe. Bei zwei Vorfällen am Sonntagabend und am Montag wurden insgesamt sechs Personen erschossen. In den vergangenen zwei Wochen wurden in Sanaa mehr als 200 Menschen getötet.

Saleh war am Freitag bei einem Raketenangriff auf seinen Palast durch Geschosssplitter verletzt worden. Er wurde in einem Krankenhaus in Riad in Saudi-Arabien operiert. Unklar blieb, wie der 69-Jährige den Eingriff überstand und ob er nach Jemen zurückkehrt. Ein Vertreter seiner Partei hatte am Wochenende gesagt, Saleh werde in einigen Tagen nach Sanaa zurückkehren. Die Regierung in Riad hat ihn jedoch in den vergangenen Wochen dazu gedrängt, einen Plan des Golf-Kooperationsrates (GCC) zu einem Machtwechsel anzunehmen.

Viele Menschen im Jemen zeigten sich am Montag überzeugt, dass Saleh nicht zurückkehren werde. In mehreren Städten wurde in der Nacht Feuerwerk gezündet. In Sanaa feierten Männer, Frauen und Kinder zu patriotischer Musik auf einem Platz, der in ein Meer von rot-weiß-schwarzen Landesfahnen verwandelt worden wurde. „Man kann die Freude in den Gesichtern der Menschen sehen“, sagte ein Demonstrant.

Seit Januar ist der Jemen Schauplatz von Protestbewegungen, die auch andere arabische Staaten erfasst haben. Insgesamt sind mehr als 450 Menschen ums Leben gekommen.