Die armen Fische

Seit 25 Jahren klären sogenannte alternative Hafenrundfahrten über die Schattenseiten von Hafenausbau und Seehandel auf. Das Ausbaggern der Elbe bekommt ihren Bewohnern nicht

Der gemeinnützige Verein Kurverwaltung St. Pauli veranstaltet Touren durch den Stadtteil, ausgerichtet auf die Rot- und Blaulicht-Aspekte der Reeperbahn, die Theater- und Filmszene vor Ort oder die Winkel mit Hafenstadtflair jenseits der Glitzermeile: www.kurverwaltungstpauli.de. Informationen zu alternativen Hafenrundfahrten gibt es im Internet unter folgenden Adressen: www.hafengruppe-hamburg.de, www.rettet-die-elbe.de und www.dgb-jugend-hamburg.de. TAZ

VON KLAUS IRLER

Dem Hamburger Hafen ist sein Geruch verloren gegangen. „Früher“, sagt Jutta Gütschow, „roch es hier nach Kaffee, Gewürzen oder Melasse.“ Heutzutage gibt es die Landungsbrücken, auf denen riecht es nach Bratwurst und Popcorn, und gegenüber, auf der anderen Seite der Elbe, gibt es die Containerterminals – dort riecht es nach gar nichts. Dafür ist der Kaffee billig geworden und massenhaft verfügbar. „Kaffee ist ein außerordentlich profitables Geschäft, weil die Bauern saumäßig bezahlt werden“, sagt Gütschow und ihre Stimme klingt etwas blechern durch die Lautsprecher der kleinen Barkasse. Es ist der Beginn einer alternativen Hafenrundfahrt, und Gütschow ist die Referentin.

Als die Barkasse an den Gebäuden der Speicherstadt vorbeischippert, zeigt sie auf eines der Gebäude und sagt: „Das größte Kaffee-Konsortium Europas, die Neumann-Kaffee Gruppe, befindet sich hinter dieser biederen Fachwerk-Fassade.“ Jutta Gütschow sagt das mit einem Lächeln im Gesicht, nicht, weil sie die Kritik ihres Vortrags schmälern wollte, sondern weil sie Profi im Referieren ist. Früher arbeitete Gütschow als Politik- und Sozialkundelehrerin, jetzt ist sie in Pension. Sie ist eine von mehreren ReferentInnen, die in der „3. Welt Hafengruppe“ organisiert sind und alternative Hafenrundfahrten anbieten. Dabei ist die Rundfahrt zu Hamburgs „Handel mit der Dritten Welt“ der Klassiker, es gibt aber auch Rundfahrten zu Themen wie „Blinde Passagiere“ oder „Frauenarbeit im Hafen und auf See“. Die Rundfahrt der Hafengruppe findet regulär alle zwei Wochen meist freitags statt, dazu gibt es die Möglichkeit, Gruppenfahrten zu buchen.

Neben der Hafengruppe bieten drei weitere Veranstalter alternative Hafenrundfahrten an: Der Verein Rettet die Elbe, die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und die DGB-Jugend. Die Themen sind unterschiedlich, haben aber Schnittmengen. Gemeinsam ist allen Gruppen, dass sie einen Kontrapunkt setzten wollen zu den makellosen Erfolgsgeschichten, die auf konventionellen Hafenrundfahrten erzählt werden. Gemeinsam ist den alternativen Veranstaltern auch, dass ihr Verkehrsmittel im Hafen kein Ausflugsdampfer, sondern eine Barkasse mit maximal 60 Sitzplätzen ist. In der geht es an diesem Spätnachmittag vorbei an den Rohbauten der Hafen-City zu einem Kai, das mit Autos vollgestellt ist. „Das sind keine neuen Autos, obwohl sie in der Sonne glänzen“, sagt Gütschow. „Bei uns würden sie durch keinen TÜV mehr kommen. Jetzt werden sie nach Afrika verschifft. Das ist eine lukrative Form, sich des Sondermülls zu entledigen.“

Zahlreiche Autoren zieht es ins Hotel Wedina in der Hamburger Innenstadt. Jedes der 14 Zimmer im blauen Haus des Hotels ist ein literarisches Schmuckkästchen, eine kleine Bibliothek für sich. Jedes einem anderen Autor gewidmet. Max Frisch, Vladimir Nabokov, Ingeborg Bachmann. Modern, architektonisch aufs Wesentliche reduziert, mit purem Beton an den Wänden und Granitstein auf dem Badfußboden.

Das rote Haus im klassischen 80er-Jahre-Gewand ist als Haupthaus mit 26 Zimmern, Rezeption, einer kleinen Bibliothek mit Büchern, Magazinen und Tagespresse und einem farbenfrohen hellen Frühstückssaal mit Wintergarten das Herzstück. Das blaue Haus, das 2002 komplett verändert wurde und seitdem der Literatur gewidmet ist, liegt gemeinsam mit gelbem und grünem Haus schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite. Farbenfrohe Studios über zwei Etagen mit Küchenzeile und diverse Doppelzimmer laden zum Wohnen und Wohlfühlen ein. Als Oase in der Innenstadt gilt das grüne Haus, das an den Wänden im Flur grünlich gestrichen ist und das in einem Steingarten aus Granit mit Findlingen aus dem Engadin mündet. Elemente dieses Farbtons finden sich auch in den spartanisch eingerichteten Studios und Zimmern wieder. Die Farben der Häuser dienen zur Orientierung und lassen sich den Gästen leicht vermitteln.

Inhaber Felix Schlatter hat seine große Leidenschaft fürs Kulturelle Ende der 90er-Jahre in Sponsoring umgesetzt. Seitdem unterstützt er das Hamburger Literaturhaus. So logieren alle Autoren, die dort ihre Werke vorstellen, kostenlos im Wedina. Zahlreiche Persönlichkeiten haben bisher Ruhe und direkte Alsternähe des Hotels genossen: Martin Walser schaute vorbei, Harry Potters Schöpferin Joanne K. Rowling und Krimi-Ikone Henning Mankell ließen es sich nicht nehmen, ihren Kopf auf einem Wedina-Kissen zu betten.

VERENA WEISSE

Gurlittstr. 23, 20099 Hamburg, Tel. (0 40) 2 80 89 00, Fax: (0 40) 2 80 38 94. Weitere Infos gibt es unter www.wedina.de und www.literaturhaus-hamburg.de. Zimmerpreise: Doppelzimmer 108 bis 165 €

Die Spezialisten für die ökologischen Fragen im Hafen sitzen beim Förderkreis Rettet die Elbe, einem Verein, der seit 25 Jahren alternative Hafenrundfahrten anbietet, derzeit auch im 14-Tage-Turnus. Sie waren die Ersten und einer, der von Anfang an dabei ist, ist der 62-Jährige Herbert Nix. Er hat die Entwicklung der Hafenproblematik miterlebt, als es zunächst in den 1970er-Jahren vor allem um die Frage der Abwassereinleitung ging, danach dann um zusätzliche Lagerflächen für die Container, den Ausbau des Hafens und das Ausbaggern der Elbe. „Ursprünglich war die Elbe zwei Meter tief“, sagt Nix. „Heute hat sie eine Wassertiefe von 14,5 Metern. Und der Senat will weiter vertiefen auf 17,5 Meter.“ Durch das Ausbaggern wächst der Tidenhub der Elbe und ihr Sauerstoffgehalt sinkt, worunter Fische und Pflanzen leiden. Die Frage stellt sich: Wohin mit dem Baggergut? „Früher wurde der Dreck-Schlick auf Spülfelder gespült“, sagt Nix. „Jetzt wird das schadstoffbelastete Material in der Nordsee verklappt.“ Als es vorbei geht am Kreuzfahrtschiff „Aida“ sagt Nix: „Ein Schiff dieser Größenordnung produziert in einer Stunde so viel Feinstaub wie 50.000 Pkws, die auf einer Autobahn 130 fahren.“

Klar ist: Auf gute Laune zielen die 90-minütigen alternativen Rundfahrten nicht ab. Sehen sie auch nicht als ihre Aufgabe an, wenngleich die ehemalige Lehrerin Gütschow schon darüber nachdenkt, wie sich das Programm insbesondere für Schüler auflockern ließe: „Sonst ist es immer so deprimierend.“