Gorleben-Beschluss fragwürdig

Das atomare Endlager wurde in den 1970er-Jahren nach Kriterien ausgewählt, die heutigen Anforderungen nicht genügen, erklärt das Bundesumweltministerium

BERLIN taz ■ Für das atomare Endlager Gorleben hat zu keiner Zeit ein solides Auswahlverfahren stattgefunden. Mit dieser zentralen These attackiert Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) die Union im aktuellen Konflikt um die Lagerung nuklearer Abfälle. Während Gabriel auch andere Orte für ein Endlager prüfen lassen will, hat sich die Union auf Gorleben in Niedersachsen festgelegt.

Noch in dieser Legislaturperiode will die große Koalition den lang andauernden Konflikt über die Endlagerung lösen. So steht es in der Koalitionsvereinbarung zwischen Union und SPD. Angepeilt wird ein zweiter Atomkonsens ähnlich der Vereinbarung über das Auslaufen der Atomkraftwerke von 2000. Seit damals ruht der Ausbau des Salzstocks von Gorleben.

Das Bundesumweltministerium (BMU) argumentiert nun, die Auswahl von Gorleben in der 1970er-Jahren sei teilweise zufällig erfolgt und genüge nicht mehr den heute gebräuchlichen Kriterien. Als Beleg führen Gabriels Mitarbeiter ins Feld, dass die niedersächsischen Orte Lutterloh, Lichtenhorst und Wahn zunächst als Alternativstandorte zu Gorleben überprüft worden seien. „Nachdem es an allen drei Standorten zu Protesten gegen die Erkundung kam, wurden noch 1976 die Arbeiten aufgrund von Bedenken der niedersächsischen Landesregierung eingestellt“, heißt es in dem Papier „Verantwortung übernehmen: den Endlagerkonsens realisieren“ des Bundesumweltministeriums.

Die Wahl sei auch deshalb auf Gorleben gefallen, weil man ein menschenleeres, ausreichend großes Gebiet für das gesamte sogenannte Entsorgungszentrum inklusive einer geplanten Wiederaufbereitungsanlage gesucht habe. „Das in den 1970er-Jahren für den Standort Gorleben durchgeführte Auswahlverfahren entspricht nicht“ den „nach heutigem Stand zu stellenden Anforderungen“, fasst Gabriels Ministerium zusammen.

Hans-Heinrich Sander, CDU-Umweltminister in Hannover, sieht das anders. Die damals angelegten Kriterien entsprächen auch noch dem aktuellen Stand, erklärt Sanders Sprecherin.

Um diese Haltung der Union in Frage zu stellen, ziehen Gabriels Beamte Beispiele aus dem Ausland heran. Zurzeit werden Auswahlverfahren für mögliche atomare Endlager in Frankreich, Großbritannien, Japan, Schweden und der Schweiz durchgeführt. Ein zentraler Bestandteil dieser Verfahren sei die parallele Abwägung verschiedener Standorte, erklärt das BMU.

Ein solches Verfahren will Gabriel nun auch in Deutschland einleiten. Ergibt die wissenschaftliche Suche keinen besseren Standort als Gorleben, soll das Endlager dort gebaut werden. Im anderen Falle werde es an einem noch zu bestimmenden Ort errichtet. Nur so könne Rechtssicherheit geschaffen sowie ein langwieriger und teurer juristischer Prozess vermieden werden, heißt es im Papier des BMU. Dies sei letztlich auch im Interesse der Stromkonzerne, die die Atomkraftwerke betreiben und für die Kosten des Lagers aufkommen sollen.

HANNES KOCH

Dokumentation des BMU-Papiers: www.taz.de/taz/gifs/Endlager-Papier.html