„Islamische Werte finde ich gut“

Der Schweizer Pat Jabbar ist ein Pionier der arabischen Dub-Fusion: Mit seinem Label „Barraka El Farnatshi“ lotet der bekennende Muslim die Schnittstellen von nordafrikanischer und elektronischer Musik aus

INTERVIEW STEFAN FRANZEN

taz: Herr Jabbar, wie kommt man als Schweizer zu arabischer Musik?

Pat Jabbar: 1984 bin ich als Rucksacktourist mit einer Freundin nach Israel geflogen, dort habe ich zum ersten Mal arabische Musik gehört. Das hat mich total angefressen, und ich musste dem unbedingt weiter nachgehen. 1985 bin ich dann nach Marokko gereist und habe dort Musiker bei Percussion-Sessions am Strand kennengelernt. Daraus ist letztendlich das Projekt „Aisha Kandisha’s Jarring Effects“ entstanden. Ansonsten war ich in keiner Weise vorbelastet: Ich bin in Basel aufgewachsen und habe als Jugendlicher in kleinen Trash-Bands gespielt: ein bisschen Punk, ein wenig Reggae. Ich fand das recht schnell langweilig.

Ihr Label „Barraka El Farnatshi“ gilt heute als erste Adresse für die Fusion arabischer Klänge mit Dub, Trance und House. Wie kam es dazu?

Mein erstes Album mit „Aisha Kandisha’s Jarring Effects“ ist 1989 in Marrakesch entstanden, eigentlich mehr aus Spaß: Wir wussten nicht genau, was wir damit anfangen sollten. Ein Freund in Basel gab uns dann Tipps, wie man Vinyl fabriziert und den Vertrieb organisiert. Bald exportierten wir unsere Platten bis nach England und in die USA: Alle zehn Tage schickten wir 100 Pressungen nach New York. Als ich mit meiner nächsten Band „Ahlan“ dann in die Weltmusik-Charts kam, schmiss ich mein Studium und entschied mich, mein Hobby professionell zu betreiben. Neben der Band Die Dissidenten waren wir einfach die Ersten, die sich an dieser Schnittstelle versucht haben. Leute wie Transglobal Underground, Natacha Atlas und Fun-Da-Mental gab es damals noch nicht.

Wie kam der Kontakt zum New Yorker Dub-Papst Bill Laswell zustande, der mehrere Ihrer Platten produziert hat?

Das kam über einen Journalisten aus Florida, den wir im Haus von Paul Bowles in Tanger getroffen hatten. Er hatte gute Beziehungen zu Laswell und versprach, ihm eine Platte von uns zu schicken. Laswell war sofort begeistert davon, und so bin ich zu ihm geflogen. Er hat einfach die Aisha-Kandisha-Bänder in die Maschine reingeknallt. Schon beim ersten Hören hat er die Tonstufe gesucht, beim zweiten Hören hat er dazu gespielt, beim dritten war es abgemixt. Total verrückt, wie der arbeitet und wie schnell er sich in eine fremde Kultur einarbeiten kann.

Wie muss man sich die Aufnahmen zwischen Basel und Marokko vorstellen?

Wir haben ein festes Studio in Marrakesch bei Youssef El Mejad, der Mitglied ist bei Aisha Kandisha. Teils gehen wir aber auch nach Casablanca, die Endproduktion übernehme ich in der Schweiz. Neuerdings arbeite ich auch mit Musikern, die hier in Basel ansässig sind. Das ist ein ganz anderer Prozess, denn sie sind stärker mit der westlichen Kultur vertraut. Ich habe die türkischstämmige Hiphop-Crew Makale produziert, und bei meinem neuesten Projekt, „Maghrebika“, sind zwei Algerier dabei, die seit zehn Jahren hier leben.

Welche Rolle spielt die Stadt Basel als Standort?

Der Standort ist nicht so wichtig für uns, und wir kümmern uns auch nicht um den Schweizer Markt: Ist vielleicht auch besser so, dann kann man in aller Ruhe produzieren. Wir sind ja keine Mundartband, die nur auf die Umsätze schauen muss. Wir könnten mehr machen – ich hatte auch schon Angebote von Arte, in Marokko eine Reportage zu drehen, aber das habe ich abgelehnt, das ist nicht so mein Ding. Unser größtes Publikum ist ganz klar in Deutschland, je nach Album läuft es aber auch in den USA oder sogar Japan ganz gut.

Ist das Label Barraka El Farnatshi und seine Verbindung von traditionellen Klängen mit Dub und elektronischen Trance-Rhythmen auch in Marokko ein Begriff? Oder gibt es da Vorbehalte?

Der Sound ist den meisten Marokkanern tatsächlich zu elektronisch, auch heute noch: Sie stehen halt mehr auf algerischem Rai oder mittlerweile Hiphop, auch traditionellen Châabi. Zudem gab es anfangs allein schon gegen den Bandnamen Vorbehalte. Denn Aisha Kandisha ist eine weibliche Sagengestalt, die wie bei uns der schwarze Mann die Kinder frisst. Aber es lohnt sich ohnehin nicht, in Marokko CDs zu verkaufen, denn der Schwarzmarkt ist völlig außer Kontrolle geraten. Du kannst deine CDs genauso gut verschenken: Sie verbreiten sich dann durch Kopien und sind dann überall präsent. Was ich eigentlich auch cool finde, denn die meisten haben eh keine Knete, um sich Platten zu kaufen.

Viele Ihrer Produktionen haben einen starken Trance-Charakter. Gibt es da einen Link zum mystischen Sufi-Islam?

Ich stand schon immer auf Techno: Das ist ein unterschwelliger Einfluss, der ständig bleibt. Mit der Religion hat das eher wenig zu tun: Mit dem sufistischen Aspekt des Islam kann ich mich nicht identifizieren, da ich eher sunnitisch orientiert bin.

Sie sind Muslim?

Ja, ich bin ein konvertierter, praktizierender, pazifistischer Muslim! Ansonsten bin ich zu 100 Prozent „made in Switzerland“ – jedenfalls, wenn man die letzten Generationen betrachtet.

Soll Ihre Arbeit auch dazu dienen, Vorurteile gegen den Islam abzubauen?

Das war ursprünglich nicht die Absicht, ist aber jetzt ein wenig mehr in den Mittelpunkt gerückt. Der Islam wird in den Medien ja oft in einem Zwielicht dargestellt. Zum Glück kann man den Kids in Europa keine allzu platten US-Propagandalügen auftischen, denn sie sind ja durch die vielen Türken, Algerier und Marokkaner, die hier in zweiter Generation aufwachsen, recht nahe dran an der islamischen Kultur. Aber ja, Vorurteile aufzulösen ist absolut meine Absicht. Mein neues Album heißt „Neftakhir“, „Stolz“: Das soll auch ein Signal sein an die arabischen Kids, sich nicht allzu sehr verwestlichen zu lassen, sondern stolz zu sein auf die eigene Kultur und die eigenen Werte.

Wie spiegelt sich das denn in den Texten wider?

Es gibt da zum Beispiel ein Stück über Heim- und Fernweh: Abdelaziz und Abdelkader gebrauchen die Metapher von einem Schiff, das sie hierhergebracht hat. In Europa merken sie nun, dass die Straßen auch hier nicht mit Gold gepflastert sind: Es kommt Reue auf, dass man überhaupt die Heimat verlassen hat, und die Daheimgebliebenen werden davor gewarnt, dieses Schiff zu besteigen. In einem anderen Stück ist die Rede davon, die islamischen Werte zu pflegen und zu verbreiten.

Wie vertragen sich so konservative Botschaften mit dem Lebensstil eines Musikers?

Einige der Musiker meiner Urformation Aisha Kandisha fanden, man könne nicht gut in Clubs spielt, wo getrunken wird oder Drogen konsumiert werden. Sie sind darum ausgestiegen, um sich mehr oder weniger auf die Religion zu konzentrieren. Ich habe da weniger ein Problem mit, solange es hier ist. Aber in Marokko würde ich auch nicht in einer Bar spielen wollen, wo Alkohol ausgeschenkt wird.

www.maroc.net/barraka