Durchleuchtung in Polen blockiert

Das Verfassungsgericht erklärt das Geheimdienstgesetz für weitgehend verfassungswidrig. Die Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ ist blamiert, 700.000 Wissenschaftler, Künstler und Journalisten brauchen keine Auskünfte zu erteilen

Fehlgeschlagener Verleumdungsversuch gegen zwei Verfassungsrichter

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

Das polnische Verfassungsgericht hat am Freitagabend das Stasi-Gesetz, das am 15. März in Kraft getreten war, in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt; nun muss es grundlegend überarbeitet werden – ein Fiasko für Polens nationalkonservative Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS). Aufatmen können nun vorerst jene rund 700.000 polnischen Wissenschaftler, Politiker, Journalisten und Schuldirektoren, die bis zum 15. Mai erklären sollten: „Ja, ich habe Spitzeldienste für den polnischen Sicherheitsdienst geleistet“ oder „Nein, ich war nie ein Stasispitzel.“

Das unter Premierminister Jaroslaw Kaczyński erweiterte „Lustrations“- oder Durchleuchtungsgesetz drohte all jenen, die die Spitzelfrage falsch beantworteten oder die Auskunft ganz verweigerten, die sofortige Entlassung und zehn Jahre Berufsverbot an.

Blamiert hat sich die PiS nicht nur mit dem verfassungswidrigen Gesetz. Dramatischer noch waren ihre Versuche, mit allen Mitteln das Gerichtsverfahren zu stoppen. Noch vor dem ersten Verhandlungstag hatte Parlamentspräsident Ludwik Dorn (PiS) das Verfassungsgericht aufgefordert, die Verhandlung zu vertagen, da das Parlament zu wenig Zeit gehabt habe, sich mit den Verfassungsklagen zu beschäftigen. Selbst der Autor des Gesetzes, Arkadiusz Mularczyk (PiS), erklärte sich plötzlich für nicht ausreichend vorbereitet. Das Gericht lehnte diesen Antrag aber ab, da beide Kammern des Parlaments bereits zur Verfassungsbeschwerde Stellung genommen hatten, die das oppositionelle „Bündnis der demokratischen Linken“ (SLD) gegen das Gesetz eingereicht hatte.

Doch Mularczyk gab sich nicht geschlagen und zog den nächsten Verzögerungsantrag aus der Tasche. Er verlangte, vier der zwölf Richter wegen „Parteilichkeit“ aus dem Verfahren auszuschließen, weil sie sich kritisch zur „Durchleuchtung“ geäußert hätten. Diesen Antrag wies das Gericht als unbegründet zurück, da die diesbezüglichen Äußerungen zum Teil über zehn Jahre zurückreichten. Damals gab es weder Lustrationsgesetz noch die heutige Verfassung Polens.

Die eigentliche Bombe platzte am zweiten Verhandlungstag: Mularczyk behauptete, zwei der Verfassungsrichter hätten mit dem kommunistischen Sicherheitsdienst zusammengearbeitet und seien als „Kontaktmänner“ geführt worden. Diese Richter seien so lange aus dem Verfahren auszuschließen, bis ihre Schuld oder Unschuld erwiesen sei. Beweise für seine Behauptungen konnte Mularczyk nicht vorlegen, er berief sich aber auf das Institut des Nationalen Gedenkens (IPN), das die polnischen Stasiakten verwaltet und ihm über Nacht die entsprechenden Papiere herausgesucht habe.

Erst am Abend wurde klar, dass es sich bei dem Vorwurf um eine glatte Lüge handelte. Einer der beiden Richter war von einem Geheimdienstoffizier als „völlig ungeeignet“ für Spitzeldienste bezeichnet worden, nachdem er sich geweigert hatte, mit dem Sicherheitsdienst zusammenzuarbeiten. Der andere war erst nach der Wende, also schon im demokratischen Polen, registriert worden. Seine ganze „Akte“ bestand zudem nur aus der Kopie seines Passes. Hätte das Gericht jedoch tatsächlich die Akten vom Institut des Nationalen Gedenkens angefordert, um die Behauptungen zu überprüfen, wäre die termingerechte Überprüfung des Gesetzes unmöglich geworden.

Trotz der erwiesenen Verleumdung durch den PiS-Abgeordneten fordert Staatspräsident Lech Kaczyński, dass sich alle Richter „durchleuchten“ lassen müssten, bevor sie das neue „Lustracja“-Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen dürften. Was er dabei unterschlägt: Alle Richter haben das Durchleuchtungsverfahren bereits durchlaufen – so wie der Staatspräsident auch.