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BÖTZOW, ENTSPANNTSchleimpilz

Man starrt ihn verwundert an, diesen Fetisch-Kauz

Seit einiger Zeit gibt es auch im Bötzow-Viertel, Prenzlauer Berg, einen dieser total angesagten Ramschmärkte. Hier, wo der Hass auf Macchiato-Mütter einst keimte, muss es natürlich ein Flohmarkt zum Verhökern von Kinderklamotten sein. Im Bötzow-Viertel hat man Kinder – oder man zieht weg. Wer Kinder hat, bleibt meistens, weil es neben der fast schon abbezahlten Eigentumswohnung rund 20 Spielplätze in der Umgebung gibt, zudem ein gutes Dutzend Kitas in Elternverwaltung und jetzt ebendiesen Kinder-Flohmarkt, der immer größer wird.

Wie ein Schleimpilz wuchert er um den Arnswalder Platz herum. Bestand er anfangs nur aus ein paar Ständen mit ollem Kinderkram, so hat sich mittlerweile eine mauerparkartige Geschäftigkeit breitgemacht. Ein großes Flohmarkt-Gedöns ist entstanden, das den Sonntag, angeblich ein Tag der Ruhe, verhöhnt.

Man sollte es kaum glauben, aber es gibt nicht nur Mütter, Väter und Kinder im Bötzow-Viertel, sondern auch andere Menschen, zum Beispiel diesen Feuilletonisten der Süddeutschen Zeitung, der auf den Flohmarkt zusteuert. Als der etwas zerstreute Herr aus seinem Tagtraum erwacht und sich im Gewühl der Merkantilen wiederfindet, ist er nachgerade entsetzt. Umgehend versucht er sich vom Epizentrum des Gewusels zu entfernen. Er hastet davon, sich wohl innerlich scheltend, nicht besser aufgepasst zu haben.

Wenig später taucht ein Mann auf, der auch nichts kaufen möchte. Er trägt einen Ganzkörper-Latexanzug. Man starrt ihn verwundert an, diesen Fetisch-Kauz, der wie beiläufig an den Ständen vorbeispaziert und die bohrenden Blicke absorbiert. Ein Vater ruft: „Hey, der Typ will bestimmt Matschhosen kaufen.“ Ja, man ist entspannt im Bötzow-Viertel. Ein Latexmann ist kein Grund für ein öffentliches Ärgernis, nicht mal im schrecklich-schönen Kinderparadies.

MARKUS VÖLKER

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