Einwandern zum halben Preis

NRW wird ein Einwanderungsland – für Besserverdienende. Der FDP-Innenminister Ingo Wolf will den Zuzug von Facharbeitern erleichtern. Nicht einmal Jürgen Rüttgers‘ CDU protestiert

VON HANNAH HOFFMANN
UND KLAUS JANSEN

Nordrhein-Westfalen überdenkt seine Zuwanderungspolitik: Neben den Besserverdienenden darf sich nun auch die gut ausgebildete Mittelschicht Hoffnung auf eine Aufenthaltserlaubnis machen. Der Bundesrat stimmte einer Initiative des FDP-Innenministers Ingo Wolf zu, die es Facharbeitern aus dem Nicht-EU-Ausland ab einem Jahresverdienst von 42.250 Euro erlaubt, sich in NRW niederzulassen. Die bisher gültige Bemessungsgrenze von 94.500 Euro würde damit halbiert.

Mit der zunächst auf drei Jahre befristeten Aufenthaltsgenehmigung will Wolf vor allem dem Mittelstand helfen. Die bisherigen Grenzwerte beim Jahreseinkommen seien „als Einstiegsgehalt in einem mittelständischen Unternehmen unrealistisch“, sagte er. Eine Ministeriumssprecherin erklärte, dass seit dem Auslaufen der so genannten Green-Card-Regelung Ende 2004 lediglich 700 bis 900 Hochqualifizierte den Sprung nach Deutschland gewagt hätten. Wie viele High-Potentials künftig kommen sollen, ließ sie jedoch offen.

Obwohl Wolf seine Landesministerkollegen auf seiner Seite hat, ist die Verwirklichung seines Vorschlags noch unsicher. Die Änderungen des Aufenthaltsgesetzes müssen noch vom Bundestag verabschiedet werden. Dessen Zustimmung hängt von der Meinung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ab, dessen Sprecher gestern nicht für eine Stellungnahme zu erreichen war. Unterstützt wird Wolf immerhin – wenn auch vorsichtig – von der NRW-CDU: „Unsere Gremien haben noch keine Position festgelegt, aber grundsätzlich stimmen wir zu“, sagte ein Sprecher. Im Jahr 2000 hatte die Rüttgers-Partei vereinfachte Einwanderungsregeln für Computerspezialisten dagegen mit dem Slogan „Kinder statt Inder“ bekämpft.

Das Bekenntnis zum Einwanderungsland für Hochqualifizierte fällt der Union heute auch deshalb leichter, weil die Betriebe sich aufgrund der guten Konjunktur immer lauter über Fachkräftemangel beschweren. Nach Angaben der NRW-Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit fehlen nicht nur Ingenieure, auch in der Gesundheitswirtschaft, bei Speditionen und sogar auf dem Bau würden qualifizierte Arbeiter knapp. „Wir haben einen erhöhten Bedarf“, sagt deren Sprecher Werner Marquis. Allerdings könne der mit deutschen Arbeitslosen und Migranten aus anderen EU-Ländern gedeckt werden.

Diese Einschätzung teilt der nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Guntram Schneider, der die Wolf-Ideen kategorisch ablehnt. „Wir haben 50.000 arbeitslose Ingenieure in Deutschland. Das geht mit einer verstärkten Einwanderung in diese Berufe gesellschaftspolitisch nicht zusammen“, sagte der Gewerkschaftschef der taz. Besonders missfällt Schneider, dass durch die sinkenden Einkommensgrenzen nicht nur Spezialisten, sondern auch durchschnittlich ausgebildete Facharbeiter angezogen würden. „Irgendwann hört es auf“, sagte er.

Die NRW-Grünen forderten Wolf hingegen auf, die Einwanderung nicht nur für Hochqualifizierte, sondern für alle Migranten zu erleichtern. Die Innenpolitikerin Monika Düker verwies auf die im Zuge des Aufenthaltsgesetzes zeitgleich diskutierten Verschärfungen etwa beim Familiennachzug. „Eine liberale Arbeitsmigration und eine menschliche Flüchtlingspolitik sind zwei Seiten derselben Medaille“, sagte Düker. Wenn Wolf in der Migrationsdebatte schon mitmischen wolle, müsse „er es richtig tun“.