Charmante Stimmen der Erneuerung

Nur drei Frauen sind in Deutschland als Kantorin in jüdischen Gemeinden tätig. Am Wochenende traten sie in Berlin zum ersten Mal gemeinsam auf

Ein grelles Geräusch schreckte am Samstagabend die Besucher des Großen Saals der Synagoge Oranienburger Straße auf: Die blau-weiße Havdalah-Kerze, Symbol für das Ende des Schabbat, hatte den Rauchmelder in Gang gesetzt. Es blieb der einzige Misston einer gelungenen Premiere: Die drei Kantorinnen Mimi Sheffer, Avitall Gerstetter und Jalda Rebling hatten zu ihrem ersten gemeinsamen Konzert eingeladen.

Sheffer, Gerstetter und Rebling sind die einzigen jüdischen Kantorinnen in Deutschland. Nur eine – Gerstetter – ist fest bei einer Gemeinde angestellt, aber alle drei leben in Berlin. In den großen Reformgemeinden der USA sind Frauen, die den jüdischen Gottesdienst musikalisch leiten, inzwischen eine Selbstverständlichkeit: Rebecca Garfein, Oberkantorin der New Yorker Gemeinde „Rodeph Sholom“, oder Roselyn Barak, Oberkantorin einer Gemeinde in San Francisco, haben sich mit ihren Stimmen weit über ihr Land hinaus einen Namen gemacht. Beide verfügen über Opernerfahrung, beide sind auch schon in Berlin aufgetreten. Das deutsche liberale Judentum hat dagegen auch mehr als 60 Jahre nach Kriegsende nicht zu seiner einstigen Stärke zurückgefunden – und der Beruf des Kantors bleibt in orthodoxen und liberal-konservativen Synagogen weitestgehend Männern vorbehalten.

„Das hat sich zufällig ergeben, aber Zufälle sind ja immer ganz schön“, sagt Gerstetter über den gemeinsamen Auftritt. Dessen Rahmen bildete der erste deutsche Kongress der europäischen Initiative „Ohel Hachidusch“ („Zelt der Erneuerung“), zu dem am Wochenende Kantorinnen, Rabbinerinnen und Gemeindeaktivistinnen zusammenkamen – unter Federführung von Jalda Rebling, Sängerin, Schauspielerin und Expertin für mittelalterliche jüdische Musik. Rebling, die in der DDR aufwuchs, war im vergangenen Januar in den USA als Kantorin ordiniert worden – ebenso wie einige Jahre zuvor Avitall Gerstetter, Jahrgang 1972 und damit die Jüngste der drei.

Musikalischer Höhepunkt, so empfanden es viele, war der Auftritt von Mimi Sheffer. Sie wuchs in Israel auf, studierte klassischen Gesang in Tel Aviv, amtierte als Kantorin in New York und verfügt über die reiche Erfahrung (und die Statur) einer Opernsängerin. Derzeit arbeitet sie vor allem im Ausland und unterrichtet am Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam. Sheffers vielschichtige Interpretation jüdischer Liturgie machte am Samstagabend den Unterschied zwischen Happening und Konzert und brauchte den Vergleich mit ihren berühmten US-Kolleginnen nicht zu scheuen.

Doch auch Avitall Gerstetter, zierlich und ehrgeizig, die an der Hochschule der Künste in Berlin klassischen Gesang studiert und schon mehrere CDs mit liturgischen, jiddischen und hebräischen Gesängen eingespielt hat, erntete für ihre charmante und lebhafte Interpretation israelischer Volkslieder langen Applaus. Und Jalda Rebling, Jahrgang 1951, erinnerte mit melancholischen Gesängen und Liebesliedern aus Spanien überzeugend an ihre eigenen Wurzeln: In Amsterdam geboren, stammt die zweite ordinierte Kantorin in Deutschland aus einer sephardischen Familie.

„Jüdische Musik ist sehr vielfältig. Ich hoffe, dass die noch etwas kleine Vielfalt der verschiedenen Kantorinnen ein Ausdruck für eine Selbstverständlichkeit von Judentum in diesem Land ist“, sagt Rebling. Und Avitall Gerstetter glaubt, „dass in Zukunft auch außerhalb von Berlin Kantorinnen angestellt werden – warum auch nicht?“

AYALA GOLDMANN