: Ein Modell für alle
Wie Bremens neuer Generalintendant Hans-Joachim Frey das Stadttheaterwesen gründlich verschlanken will
Vielen gilt Hans-Joachim Frey als Intendant, „wie ihn sich die CDU immer gewünscht hat“. Eine nahe liegende Zuordnung, schließlich wird das Bremer Kulturressort, das den 41-Jährigen zum Chef am dortigen Goetheplatz berief, christdemokratisch geführt. Gemeint ist allerdings etwas Grundsätzlicheres: Frey ist ein Theatermann, der zielgerichtet wie nur wenige seiner KollegInnen engen Kontakt zu Kapitalförderern sucht. Als Vorsitzender des „Forums für Kultur und Wirtschaft“ in Dresden, wo Frey derzeit noch als Semper-Direktor arbeitet, hat er beispielsweise die „Competizione dell’Opera“ ins Leben gerufen. Dabei bekommt Frey auch die Unwägbarkeiten privatwirtschaftlichen Engagements zu spüren: Weil ein einschlägiger Eishersteller kurzfristig absprang, wie Frey per Fax ins Ferienhotel erfuhr, brach eine komplette Edition des mittlerweile renommierten Wettbewerbs zusammen.
Schon Freys Vorgänger Klaus Pierwoß, als Westdeutscher zu DDR-Zeiten Chefdramaturg des Berliner Maxim Gorki und von einer grünen Senatorin ins Bremer Amt geholt, suchte volkstümlichere Allianzen. Zugunsten von Werder Bremen zwängte er sich in ein Spielertrikot, Werder-Trainer Thomas Schaaf mimte im Gegenzug den Theaterdirektor. Frey muss, aus finanziellen Gründen, freilich noch mehr Einsatz bringen: Der Crash vom vergangenen Herbst sitzt dem Haus noch tief in den Knochen. Wegen lange im Aufsichtsrat verschleppter Altlasten sowie Etatüberreizungen und kleineren Rechenfehlern drohte der Theater GmbH die Insolvenz. Die Bremer Belegschaft sprach von „Erpressung“ seitens des Senats, musste sich aber in einen Notlagentarifvertrag fügen. Das Theater hat noch immer 4,5 Millionen Euro Schulden, der auf 23,4 Millionen Euro reduzierte Zuschuss verweist es im Ausstattungsranking vergleichbarer Vierspartenhäuser auf einen unterdurchschnittlichen Platz.
Frey hat bereits tief gehende Einschnitte durchgesetzt. Die festen Ensembles in Schauspiel und Musiktheater sind um jeweils ein Drittel reduziert, was freilich nicht bedeutet, dass weniger AkteurInnen auf den Bühnen stehen. Frey füllt die Lücke mit zahlreichen Gästen, für die Oper soll mit dem Nachwuchsstudio ein Volontärsmodell eingeführt werden. In Sachen Tanz ist Frey weitgehende Kooperationen mit Oldenburg eingegangen: Vor Ort wurden beide Compagnien verkleinert, sie schließen sich jedoch regelmäßig zu Großprojekten zusammen.
Ohnehin wird der bisherige Repertoirebetrieb, bei dem im Prinzip jede Produktion die Spielzeit über präsent bleibt, auf ein konzentrierteres System umgestellt. Nur noch zwei bis drei Stücke sollen sich zeitlich überlappen, das spart Umbaukosten, macht die Gäste en bloc buchbar und schafft „klare Kommunikationssachverhalte“, wie Frey formuliert. Um vom Agenturlatein ins Fachchinesische zu wechseln: Frey führt ein abgeschwächtes Semi-Staggione-Prinzip in das tradierte Stadttheaterwesen ein.
Bei den tendenziell links sozialisierten Bremer Bildungsbürgern stoßen solche Initiativen auf Skepsis. „Ihr“ Goetheplatz-Theater, an dem Zadek, Fassbinder und Stein in den Sechzigern sowie Tabori in den Siebzigern experimentierten, soll jetzt unter der Dachmarke „Internationales Kulturforum“ firmieren, womit gleichzeitig ein „Klub“ künftiger Sponsoren gemeint ist. Eine Bühne lasse sich schließlich auch für Aktionärsversammlungen nutzen, meint Frey.
Für Frey ist die verbale Rochade samt inhaltlicher Ingredienzien Signum einer strukturellen Revolte: „Wir haben Großartiges vor“, Bremen könne zum „Modell für den Umbau des deutschen Stadttheaterwesens“ werden. Nun darf der graumelierte Mann in der Tat in Anspruch nehmen, die finanzielle Krise zu umfangreichen Neuerungen zu nutzen, anstatt die Flamme lediglich kleiner zu drehen. Ein Unikum ist dabei die Idee, alle Spielzeiten thematisch zwei Ländern zuzuordnen, beginnend mit Ungarn und Israel. Da immer ein EU-Staat dabei ist, winken Fördergelder, und schaut man sich genauer an, wie Frey dieses musikgeografische Prinzip in seiner ersten Spielzeit ausfüllen will, spricht auch inhaltlich nicht wirklich etwas dagegen. Als Saisoneröffnung hat er die „sinnliche Avantgarde“ von „Le Grand Macabre“ gewählt, also einen Ligeti, die publikumsträchtige „Csárdásfürstin“ hat der Balkan bekanntlich ebenfalls im Angebot.
Und Israel? Ist im Tanz ganz vorn. Außerdem lassen sich alle biblischen Opernstoffe unter „irgendwie auch jüdisch“ subsumieren. Insgesamt schafft es Frey, den Produktionstakt leicht zu erhöhen, unter den 33 geplanten Premieren finden sich stattliche acht Uraufführungen.
HENNING BLEYL
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