Gefühltes Rot-Grün

AUS BERLIN UND BREMEN KATHARINA KOUFEN
UND BENNO SCHIRRMEISTER

So was hat es lange nicht gegeben: Schon morgens stand ein Fernsehteam vor der Bundeszentrale der Grünen am Platz vor dem Neuen Tor in Berlin. „Wie zu Zeiten von Rot-Grün“, scherzt ein vorbeiradelnder Journalist. Die Grünen hören solche Sprüche gern. Wo immer man gestern auf Parteimitglieder traf: Alle hatten ein unsichtbares „Wir sind wieder wer“-Schild um den Hals hängen.

Weil die Koalitionsgespräche in Bremen gerade erst losgehen, will sich kaum einer mit verbindlichen Positionierungen zitieren lassen. Aber hinter vorgehaltener Hand bekommt man zu hören, dass auch die Grünen im Bundestag stinksauer sein werden, wenn sich die Bremer SPD gegen eine rot-grüne Koalition entscheidet. Dann würden die Stimmen in der Fraktion lauter, die die Sozis in die Wüste schicken und sich intensiver mit Schwarz-Grün beschäftigen wollen, heißt es.

„Klar würden das viele in der Fraktion als Affront, als Absage an eine Neuauflage des rot-grünen Projekts verstehen“, sagt der Abgeordnete Omnid Nouripour. „Das wäre das fünfte Mal ohne Not, dass die SPD den Grünen einen Korb gibt.“

Fraktionschefin Renate Künast kann sich „gar nicht vorstellen“, dass sich die Bremer SPD gegen die Grünen entscheidet. „Das wäre falsch“, sagte sie der taz. „Ich bin mir sicher, dass auch der Berliner Regierungschef Klaus Wowereit sich ärgert, dass er sich im Herbst gegen die Grünen entschieden hat.“

Parteichef Reinhard Bütikofer, anders als seine Kollegin Claudia Roth nicht für euphorische Ausbrüche bekannt, warnt allerdings davor, „Bremen auf den Bund hochzurechnen“. Es wäre „fahrlässig“, aus der Wahl Schlüsse für die Situation auf Bundesebene zu ziehen. Schon allein das Wahlergebnis sei nicht übertragbar.

Hinzu kommt: Die Bremer Grünen unterscheiden sich in einigen Punkten grundlegend von der Bundeslinie – etwa durch ein starkes sozialpolitisches Profil: „Hartz-Debakel“ nennt Frontfrau Karoline Linnert die von der rot-grünen Bundesregierung in Gang gesetzten Reformen. Sie legt Wert darauf, „dass wir das hier nicht mitgetragen haben“. Ein wichtiges Thema im Kleinstaat. Jeder siebte Bremer lebt von Sozialhilfe. Dass Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) einen Partner sucht, mit dem sich „eine sozialdemokratische Politik“ am besten verwirklichen lässt, spricht insofern deutlich für die Grünen. „Es gibt eine gute gemeinsame Grundlage“, sagte Fraktionsvize Matthias Güldner der taz. Schon bei Mindestlohn und der Frage eines Klagerechts im Tierschutz, zuletzt prominente Themen in Bremen, wären die Grünen für die SPD der verlässlichere Partner gewesen.

Hilflos reagierten die Christdemokraten auf den grünen Erfolg: Landeschef Bernd Neumann beschwor gestern Angstfantasien vor „rot-grünen Experimenten“, die das überschuldete Land zurückwerfen würden. In Bremen hat vor derlei Gespenstern allerdings längst keiner mehr Angst – nicht einmal das gutsituierte Publikum: So konnte die Ökopartei laut Landeswahlleiter in den bürgerlichen Wohn- und Villenvierteln einen Zugewinn von mehr als 3 Prozentpunkten verbuchen– nicht zuletzt auf Kosten der Union (siehe unten) .

In den Reihen der Sozialdemokraten werden die Sympathien für Rot-Grün immer deutlicher. Bürgermeister Böhrnsen ist gestern schon vorsichtig auf Distanz zur CDU gegangen. Es dürfe „nicht einfach so weitergehen“, sagte er. Nach zwölf Jahren großer Koalition sei klar, dass „Verschleißerscheinungen“ und „Ermüdungserscheinungen“ erkennbar seien. Er will nun mit Grünen und Union Sondierungsgespräche führen. Sie sollen in den nächsten vierzehn Tage abgeschlossen sein.