Für ein Recht auf Alltag

AKTIONSTAG In Babelsberg stehen am Samstag für „Welcome United Nulldrei“ Sportler aus elf Nationen zusammen auf dem Platz. Um auf die Probleme von Geflüchteten in Deutschland aufmerksam zu machen. Und zu kicken

Zum Auftakt des Aktionstages am Samstag spielen um 13.30 Uhr SV Babelsberg 03 gegen 1. FC Union Berlin II. Anschließend treten um 15.45 Uhr Welcome United Nulldrei gegen FC Lampedusa Hamburg an. Um 18 Uhr dann werden die Fans selbst das Leder treten: Fanteam Babelsberg 03 gegen Fanteam FC St. Pauli. Neben dem sportlichen Vergleich soll auch über die Situation von Flüchtlingen informiert werden. Eingeladen sind Vereine wie Amnesty International sowie Pro Asyl und weitere Projekte aus Berlin. Ab 18.30 Uhr Bands!

■ „Refugees Welcome“: Karl-Liebknecht-Stadion, Karl-Liebknecht-Straße 90, Potsdam-Babelsberg, 18. 10., ab 13.30 Uhr, ab 6 €, Flüchtlinge haben freien Eintritt, www.babelsberg03.de

VON JENS UTHOFF

Am kommenden Samstag dann wird Johnson einfach nur ein Mittelfeldspieler sein. Ein Kicker unter vielen im blau-weißen Babelsberger Trikot. Einer, der sein Team vorantreibt; einer, der ein Leader ist. Und dem es 90 Minuten lang egal sein kann, was die „Auslanderbehorde“ will, ob dem Sozialamt noch ein Formular fehlt oder wer die Kosten für den nächsten Sprachkurs trägt. „Fußball ist derzeit die einzige Beschäftigung, bei der ich glücklich bin und bei dem ich nicht über den ganzen Stress nachdenke, den ich habe“, sagt Johnson.

Johnson wird am Wochenende für „Welcome United“ auf dem Platz stehen, ein vor drei Monaten gegründetes Flüchtlingsteam von Babelsberg 03. Im Rahmen eines Refugee-Aktionstages wird es ein Freundschaftsspiel gegen den FC Lampedusa Hamburg geben – jenes Team, das aus den Flüchtlingsprotesten in Hamburg hervorgegangen ist. Der Kick findet im Anschluss an die Viertligapartie Babelsberg gegen Union II statt – man hofft auf mehrere tausend Zuschauer.

Ohne Johnson, der in Zeitungen ohne seinen Nachnamen genannt werden möchte, gäbe es das Potsdamer Team vielleicht gar nicht: Vor drei Jahren aus Nigeria gekommen, fragte er Ende April Manja Thieme, seine Flüchtlingsseelsorgerin – wie auch einige andere – nach einer Mannschaft, in der er kicken könne. Thieme, Nulldrei-Anhängerin, erkundigte sich kurzerhand beim Klub und schon Ende Juni fand ein erstes Trainig des Refugee-Teams in Babelsberg statt. Zunächst wollte man den Flüchtlingen einfach einen Platz zur Verfügung zu stellen. „Aber dann haben wir als Verein gesagt: Nee. Wenn, dann machen wir’s richtig“, so Thoralf Höntze, Marketingverantwortlicher des Klubs.

Welcome United ist nun ein offizielles Team des Klubs, anders als etwa der FC Lampedusa, bei dem auch mal im Raum stand, sich dem FC St. Pauli anzuschließen – was bislang scheiterte. In Babelsberg stehen derzeit Sportler aus elf verschiedenen Nationen zusammen auf dem Platz, die Kicker zwischen 19 und 34 Jahren alt. Der Aktionstag soll erst mal dazu dienen, Öffentlichkeit zu schaffen: „Wir wollen auf unser Fußballangebot für Flüchtlinge aufmerksam machen“, sagt Höntze, „und Ziel ist es natürlich auch, auf die Schwierigkeiten der Asylsuchenden in Deutschland hinzuweisen.“

Dass diese Schwierigkeiten auch den Sport betreffen, wurde erst am vergangenen Freitag beim 1. Berliner Flüchtlings-Sport-Kongress deutlich. Zwischen Vereinen und Flüchtlingen bestehen kaum Kontakte, und wenn der Aufenthaltsstatus nicht dauerhaft sicher ist, wollen die Klubs die Kicker oft nicht aufnehmen. Dies führt auch zu solch absurden Situationen, dass iranische oder kamerunische (Ex-)Erstligaspieler hierzulande in Freizeitteams kicken. Immerhin aber gibt es gleich zwei Initiativen im Berliner Raum, die sich des Problems annehmen: Neben den Babelsbergern sind dies die Berliner Champions ohne Grenzen (ChoG), bei denen es, anders als in Potsdam, inzwischen auch ein Refugee-Team für Frauen gibt.

Johnson, der seine Identität geändert hat, nachdem er nach Deutschland geflohen war, hat viele Anläufe gebraucht, um hier spielen zu können. Im Flüchtlingsheim Eisenhüttenstadt, in dem er zunächst lebte, trat er auf einem Platz am Wohnheim gegen den Ball. Aber das reichte ihm nicht. Seit der Grundschule spielt Johnson Fußball – er wollte wieder in einem richtigen Verein spielen. Den fand der studierte Politikwissenschaftler, der zwischenzeitlich noch in einer Unterkunft in Bad Belzig wohnte, erst, als er nach Potsdam kam. „Wir haben es Manja zu verdanken, dass es klappte“, sagt er.

Johnson hat viele Anläufe gebraucht, um hier spielen zu können

Den Stress, von dem er jetzt im Telefoninterview spricht, kann mehr als nur erahnen, wer sich mit ihm unterhält. In Nigeria wurde er als politischer Aktivist nach den Wahlen 2011 verfolgt, er wähnte sich lange in Lebensgefahr. Mehr möchte er dazu nicht in der Öffentlichkeit sagen, auch sein Alter behält er lieber für sich. Johnson hat eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Trotz Heimunterbringung ist er derzeit quasi obdachlos: „Ich sollte mir das Zimmer mit jemandem teilen, mit dem ich mich nicht gut verstand“, erklärt er, „nun habe ich eigentlich kein Zimmer mehr, weil sie mir keinen eigenen Raum geben. Ich übernachte meistens bei Freunden.“

Derzeit besucht Johnson eine Fahrschule, um eventuell einmal als Lkw-Fahrer in Deutschland arbeiten zu können. Es ist eine vage Hoffnung: Über eine Arbeitserlaubnis verfügt Johnson nicht. Wenn er darüber berichtet, wie anstrengend es sei, hier Fuß zu fassen, schleichen sich diese deutschen Worte in seine Ausführungen: „Auslanderbehorde“, „Aufenthaltserlaubnis“, „Sozialamt“. „Ich konnte nicht glauben, dass der Aufenthalt den Leuten, die hierher geflohen sind, so schwer gemacht wird“, sagt er. Über die Sicherheit und die medizinische Versorgung hingegen berichtet er Gutes.

Für Johnson ist Fußball derzeit fast der einzige Berührungspunkt zum normalen Alltag in Deutschland. Sowohl bei Babelsberg, wo nun bereits etwa 50 Flüchtlinge zusammenspielen, als auch bei ChoG, wo 150 Spieler und Spielerinnen kicken, zeigt sich, wie wichtig der Sport für diese Personengruppe ist. „Ab der nächsten Saison gehen wir in den Spielbetrieb“, berichtet Höntze am Rande des Flüchtlings-Sport-Kongresses – ein weiterer wichtiger Schritt in die für uns so selbstverständlichen Strukturen des Breitensports. Mögen Welcome United dann die Ligen rocken!