Großgrundbesitzer besser dran

Strafanzeige: Bei Privatisierung der Ost-Äcker sollen Millionen veruntreut worden sein

BERLIN taz ■ Franz-Joachim Bienstein fühlt sich benachteiligt. Bienstein ist Bauer – und hatte große Pläne. In Martensdorf, in der Nähe des mecklenburgischen Wismar, kaufte er vor 15 Jahren einen Hof mit 90 Hektar Land. Das ist wenig, große Betriebe im Osten haben mindestens 600 Hektar. Für Bienstein sollte es auch nur ein Anfang sein.

Problem: Anders als sein Nachbar, der ohnehin schon 3.500 Hektar besitzt, bekommt Kleinbauer Bienstein kein Ackerland. Er klagt: „Ich habe mehrfach versucht, von der BVVG Land zu pachten oder zu kaufen. Ohne Erfolg.“ BVVG – das Kürzel steht für Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH. Sie wurde 1992 aus der Treuhand ausgegliedert, um die früheren volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen der DDR zu privatisieren. Doch bei einer der größten Aufgaben nach der Wiedervereinigung – da „geht es nicht rechtens zu“, meint Bienstein.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hat jetzt – so machte sie gestern öffentlich – bei der Staatsanwaltschaft Berlin Strafanzeige gegen die Vorstände der BVVG gestellt. Ihr Tatverdacht: „Veruntreuung in Millionenhöhe“. Die Arbeitsgemeinschaft kritisiert seit langem, dass die staatseigenen Flächen unter Wert an wenige Großgrundbesitzer verscherbelt werden. Nur fand die Gegenorganisation zum Deutschen Bauernverband kaum Gehör. Nun versucht sie es per Gericht.

Rechtsanwalt Thorsten Purps erklärt: „Die Vorstände der BVVG haben jahrelang bewusst Misswirtschaft zu Ungunsten der Bundesrepublik Deutschland und zu Gunsten weniger Agrarunternehmen betrieben.“ Wie das geht? Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf meint: Da sei „unter der Hand vergeben“, „systematisch verschoben“ oder „beim Verkauf gewurstelt“ worden.

Hintergrund: Am Anfang hat die BVVG das Land nur verpachtet. Zum Zug kamen vielfach die LPG-Nachfolger. Die BVVG vergab die Flächen nach Empfehlungen einer Kommission. In ihr saßen: Vertreter des Deutschen Bauernverbandes, ehemalige LPG-Vertreter und Verwaltungsbeamte. 1994 kam dann noch eine neue Regelung, das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz. Fortan konnten die Pächter das Land kaufen, zum Vorzugspreis: Er darf 35 Prozent unter dem Marktwert liegen.

„70 Prozent der Betriebe wurden damit ausgeschlossen, nur weil sie nicht zu den ersten Pächtern gehörten“, ärgert sich Bauer Bienstein. Besonders brisant aber: Die BVVG soll den Käufern stark entgegengekommen sein. „Flächen auf sehr guten Böden wurden für 1.700 Euro pro Hektar abgegeben“, sagt Jurist Purps. –„Der marktübliche Verkehrswert lag aber bei 10.000 Euro.“ BVVG-Schnäppchenpreise hat auch der Bundesrechnungshof schon gerügt. In einem internen Prüfbericht der Behörde, der der taz vorliegt, heißt es: Es liege nahe, dass die BVVG den Wert „nicht stets nach den geltenden Regeln ermittelte“. Das Bundesfinanzministerium – dem die BVVG untersteht – gibt sich jedoch gelassen. Sprecher Stefan Olbermann meint: „Ein systematisches Fehlverhalten beim Abschluss von Kaufverträgen ist nicht erkennbar.“ Es seien „Einzelfälle“.

Rechtsanwalt Purps sieht das anders. Er rechnet vor, dass sich die „BVVG bei jedem Hektar mindestens 1.000 Euro“ entgehen lässt. Das summiere sich: In den letzten 14 Jahren habe die BVVG rund 250.000 Hektar Ackerfläche unter dem Verkehrswert verkauft. Und bis 2015 kämen voraussichtlich noch mal 400.000 Hektar hinzu. Die Staatsanwaltschaft hat bereits ein Verfahren eingeleitet. Ändert sich nichts, so sagt Kleinbauer Bienstein, „werde ich meine Existenz nur schwer wahren können“.

HANNA GERSMANN