DIE FREUNDIN
: Das Gesicht kannte ich

Das geflügelte Wort war: „Ein bisschen brühig“

Normalerweise haut mich die Lektüre des Tagesspiegels nicht vom Hocker. Hin und wieder blättere ich ihn durch. So war es auch an diesem Nachmittag in einem Café in Friedrichshain. Auf Seite 13 hielt ich kurz inne. Es war eine ganzseitige Anzeige von Edeka, wo ich so gut wie nie einkaufe. Irgendetwas irritierte mich. Ich überflog die Angebote, schüttelte den Kopf und blätterte weiter. Die Irritation blieb, ich blätterte zurück. Es war das Foto der Edeka-Verkäuferin im blau-gelben Kittel in der oberen rechten Ecke. Das Gesicht kannte ich!

Es war eine Freundin von mir, die Synchronsprecherin ist, Theater und Schauspiel macht, auch bei den „Rixdorfer Perlen“ im Heimathafen Neukölln. Als Supermarktverkäuferin musste sie fünf Gänge runterschalten. Brav die Frisur, keusch der Kittel, servil das Lächeln. Während ich das Foto betrachtete, dachte ich an die Geschichte, die sich am Anfang unserer Freundschaft zutrug. Ich hatte eine Avocadosuppe gemacht, die mich begeisterte. Nach den ersten Löffeln sagte sie: „Bisschen brühig.“ Seitdem ist diese Bemerkung, die unsere Beziehung auf eine harte Probe stellte, zu einem geflügelten Wort geworden.

Im Internet fand ich auf der Seite von Edeka noch einen Fernsehspot, in dem die Freundin für Spargel warb. „Unser frischer Spargel aus deutschen Landen hat es unserer Mitarbeiterin ganz besonders angetan“, stand dabei. „Sie kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus.“ Lustig, womit man alles Geld verdienen kann, dachte ich, und rief mir noch einmal die Anzeige ins Gedächtnis. Ich hätte mich gefreut, wenn es unter den „Super-Knüller“- und „Gut und günstig“-Angeboten Brühwürfel gegeben hätte. Die Freundin machte Werbung für Katzennahrung, einen Kaffeedrink im Becher und Fertiggerichte. Wir haben uns lange nicht gesehen. Vielleicht sollte ich mal wieder zu Edeka gehen.

BARBARA BOLLWAHN