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Politik an Ort und Stelle

STEUERUNG Die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom schildert in einem Thesenbändchen, wie sich Gemeingüter am besten bewahren lassen

Strenge Hierarchien können das ganze System zum Einsturz bringen

VON JOHANNES GERNERT

In Indien beispielsweise geht es um das Grundwasser. In Riesenstädten wie Delhi oder Hyderabad ist das Wasser so knapp, dass die Leute immer tiefer bohren, um duschen und waschen zu können, wann sie wollen. Die wohlhabenden Mittelschichtler zumindest, die das Geld haben, ihre eigenen Brunnen zu bauen. Die Frage ist jetzt also, wie sich die Wasserversorgung regeln lässt, so dass alle zufrieden sind und das Grundwasser trotzdem nicht in wenigen Jahren versiegt. Ein klassischer Fall für Elinor Ostrom.

Ostrom ist Wirtschaftswissenschaftlerin, sie hat vor zwei Jahren den Nobelpreis für ihr Werk bekommen, als erste Frau auf diesem Gebiet. Seit Jahrzehnten beschäftigt sie sich mit Gemeingütern – Wasser, Wald, Luft. Sie sieht sich Projekte in aller Welt an, schickt ihre Studenten und Doktoranden los, um mit ihnen zu erforschen, wie sich diese Gemeingüter am besten verwalten lassen. Mit dem „gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter“ befasst sich auch ein kleines Büchlein, das jetzt auf Deutsch erschienen ist. „Was mehr wird, wenn wir teilen“ fasst Ostroms zentrale Gedanken zusammen. Silke Helfrich hat als Herausgeberin und Übersetzerin dafür ein Interview und einen Essay der Nobelpreisträgerin verwertet.

Die wichtigste Erkenntnis aus Ostroms Arbeit klingt zunächst einmal sehr banal: Die eine, einzige Lösung gibt es nicht. Mit dieser Grundhaltung sollte man sich den Konflikten nähern. Ostroms Skepsis gegenüber Regierungen und etablierten Institutionen ist groß. „Man sollte auf keinen Fall denken, die Regierungen sind allwissend – die Leute vor Ort aber haben keine Ahnung“, so hat sie es in einem Interview mit einem Journalisten des Indian Express formuliert. Es ist ihr zentrales Credo. Es kann sein, dass diese Skepsis auch daher rührt, dass genau so eine Institution Ostrom einmal verbieten wollte, einen Abschluss in Wirtschaft zu machen – die Universität lehnte sie zunächst als Frau ab.

Steuerungsinstrumente seien nur dann wirksam, wenn sie „auf die Kultur und das institutionelle Umfeld jener abgestimmt“ seien, die von dem Ökosystem leben, schreibt Ostrom nun in „Was mehr wird, wenn wir teilen“.

Der erste Schritt ist für Ostrom immer, die „legitimen Nutzer“ zu identifizieren. Beim Fisch sind das meist die Fischer. Dass der Kabeljaubestand schrumpfte, hatte die kanadische Fischereibehörde so lange ignoriert, bis es nicht mehr zu ignorieren war und sie 1992 ein Fangmoratorium ausrief. Es traf ausgerechnet die kleinen Fischer an den Küsten, die schon viel länger mit Fangregelungen versuchten, den Kabeljau zu retten. Das Moratorium machte sie nun arbeitslos. Die Geschichte illustriert für Ostrom, was passieren kann, wenn die Regierung von oben eingreift, ohne die Betroffenen einzubeziehen. Das Gegenbeispiel: Hummerfischer in den USA, die sich erfolgreich gegenseitig kontrollieren, um die Schutzgesetze einzuhalten.

Auch beim Holz stellt eine Untersuchung im brasilianischen Regenwald fest: Für den Großteil der Rodungen sind nicht Kleinbauern, sondern mächtige Unternehmen verantwortlich. Wenn die Kleinbauern zusammenarbeiten, haben Forscher mit einem Experiment ermittelt, ist die Chance am größten, dass die Gemeingüter nachhaltig verwaltet werden.

Die Sorge um den Wald, um die Meere hatte 1987 ein Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung ausgelöst: „Unsere gemeinsame Zukunft“. Er hatte eine Debatte über den Begriff „Nachhaltige Entwicklung“ angestoßen. Viele der Projekte, mit denen sich Ostrom beschäftigt, sind indirekte Folgen solcher globalen Ausrufe.

Sinnvolle Anreizsysteme schaffen, das ist ein weiterer entscheidender Punkt in dem Maßnahmenkatalog, den Ostrom in ihrem Büchlein vorschlägt. Man muss Regeln erarbeiten, gemeinsam – die Regierung mit den Leuten vor Ort.

Im Januar war Ostrom nach Indien gereist, weil sich dort die International Association for the Study of the Commons traf, kurz Iasc, die Gesellschaft für die Untersuchung der Gemeingüter. Mehr als 200 Papers auf der Iasc-Webseite zeigen, wie groß das Interesse an Ostroms Forschungsansatz mittlerweile ist. Die Wissenschaftler beschäftigen sich mit Fischmanagement in Vietnam, Bewässerung in der Türkei oder zentralamerikanischen Wäldern.

Man müsse genau Bescheid wissen über den Zustand der jeweiligen Allgemeingüter, schreibt Ostrom. Man braucht verlässliche Informationen. „Ökosysteme sind vielfältig, komplex und unsicher und deren nachhaltige Bewirtschaftung erfordert erhebliche Investitionen in die Erhebung präziser Daten.“ Aus ihren Beobachtungen schließt die Organisationstheoretikerin Ostrom, dass das „polyzentrische“ Modell am besten funktioniert: Strenge Hierarchien würden zwar schnelle Entscheidungen fördern. Indem sie aber bestimmte Interessen ignorieren, können sie irgendwann das ganze System zum Einsturz bringen. Die Gefahr bestehe nicht, wenn es mehrere Zentren gibt: Informationen verteilen sich so besser. Das Wichtigste aber: anpassungsfähig bleiben.

Da liege, hat Ostrom einmal beklagt, das Grundproblem der Politik: „Die Leute analysieren etwas und sagen dann: Genau so muss es jetzt laufen.“ Oder eben ein bisschen anders, würde sie sagen.

■  Elinor Ostrom: „Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter“. Oekom Verlag, München 2011, 126 S., 14,95 Euro

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