ortstermin
: Ein Krimi nach Jürgen Rieger

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen Autoren der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Am Rand von Hamburg-Altona steht ein betongrauer Hotelklotz und glotzt auf die Straße. Unscheinbar beinahe. Ein farbloser Nachkriegsbau mit rußig-verwitterter Fassade, der in den 1960er Jahren auf das vakant gebombte Areal gebaut wurde. Aus einer Schneise im Straßenzug ragt der Kasten sechs Etagen hoch. Ein „stilechter Entwurf“ sei hier dereinst verwirklicht worden, wirbt selbstbewusst der Hotelbetreiber. Tatsächlich übertrifft die Lage der Drei-Sterne-Unterkunft ihre charmante Architektur: In unmittelbarer Nähe befinden sich Nah-, Fern- und Rotlichtverkehr. Fährt man in einem der vielen Linienbusse vorüber, bleibt ein erschrockener Blick an ihm kleben wie an einem, sagen wir: rosafarbenen Streifenwagen.

„Kein Verkauf an Nazis!“ – mit weißer Sprühdosenfarbe geschrieben, prangt dieser Satz auf der Fensterfront neben der Eingangstür. Zwei Polizeiautos parken in der Hofeinfahrt. Eine zersplitterte Scheibe ist zu erkennen – und Kameras. Was wird denn hier gespielt?

Allerlei Assoziationen erweckt die angejahrte Herberge mit dem Schriftzug. Ein vorbestrafter und ziemlich rechter Rechtsanwalt auf Immobiliensuche tritt einem in Erinnerung: Jürgen Rieger und das Delmenhorster „Hotel am Stadtpark“, in das jener sich 2006 verguckte, und das er zu einer neo-nazistischen Kaderschmiede umzugestalten gedachte – und schließlich doch nicht in seine Finger bekam. Folgt der zweite Anlauf Riegers, inzwischen ja immerhin Hamburger NPD-Chef, jetzt im Stadtteil Altona?

Die Parkstreifen vor dem Hotelgebäude sind mit Lastwagen zugestellt. Daneben sind einige neugierige Passanten stehen geblieben. Schaut man aber um die Ecke, in die Einfahrt hinein, so schwant einem, was hier geschieht: Da trabt die Schauspielerin Corinna Harfouch, bekannt durch Filme wie „Solo für Klarinette“, im Scheinwerferlicht aus dem Hotel ins Freie. Eine Kamera auf einem Hebelarm schwenkt hinter ihr her. Ein adrett gekleideter Mann, den Schal elegant über die Schultern geworfen, unterbricht und gibt Regieanweisungen. Eine Folge der Krimi-Serie „Das Duo“ wird hier gespielt, pardon: gedreht. „Für das ZDF“, wie der darauf angesprochene Produktionsassistent antwortet – flüsternd, um die Aufnahme in zehn Metern Entfernung nicht zu stören.

Kein zweites Delmenhorst also. Zumindest kein reales. Aber ein fiktives. So konsumiert das Publikum das aus den Nachrichten Bekannte im Abendprogramm nochmal. Für die Unterhaltung ist das wohl ideal: die Muster aufgreifen, die schon in den Köpfen bereitliegen.

Ja, dem Drehbuch liege die Dramaturgie des Hotelstreits in Delmenhorst zugrunde, sagt der junge Produktionsmitarbeiter mit dem brabbelnden Funkgerät am Gürtel. Die Heldinnen der Krimi-Reihe, zwei Kommissarinnen, würden gegen ein Rieger-Pendant ermitteln. „Im Herbst wird gesendet.“ Das kann er gerade noch sagen, dann droht Gefahr auf dem Gehweg: Ein Paar, beide Reisetaschen tragend, spaziert unbeirrt in Richtung Filmset, wo Harfouch gerade vor laufender Kamera zum x-ten Male aus dem Hotel läuft. Der Produktionsassistent holt die irritierten Hamburgbesucher zurück auf die Erde: „Bitte warten Sie,bis die Aufnahme beendet ist.“

Die Szenen wiederholen sich im Minutentakt: Dort Harfouch, wohl hoffend, dass ihr Gang endlich im Kasten ist, hier die Hotelgäste, die kommen und gehen, wie sie wollen. Der junge Mann mit der Funke gerät ins Schwitzen und seine Eastwood-Augen halten Ausschau nach noch mehr einfallenden Touristen. „Dreht ihr hier ‚Großstadtrevier‘?“ fragt ein Passant. Schweigend verweist der junge Mann auf die Nummernschilder der geliehenen Polizeiwagen. Die haben Lübecker Kennzeichen, weil das Hotel ja in Lübeck steht – im Serien-Universum. Wo sich es sich irgendwann tatsächlich befinden könnte, daran arbeitet Jürgen Rieger ganz real. Und bereitet damit womöglich schon das nächste Drehbuch vor. MART-JAN KNOCHE