Feldmaus paart sich mit Feldmaus

„Mein Kampf“ lesen und wilde Sachen machen: Das Skandalträchtige des Romans „Macht und Rebel“ des norwegischen Autors Matias Faldbakken schrumpelt in der Theaterbearbeitung von Robert Lehniger im Prater etwas aufs Albern-Pubertäre

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Heilige Scheiße, wo bin ich hier nur hingeraten. Haarige Männerbäuche füllen minutenlang die große Fläche der Leinwand, die den Hauptteil der Bühne im Prater einnimmt. Vom „Salatgurkenficken“ ist die Rede, man sieht die Gurke auch, frisch abgebissen schwenkt sie Bruno Cathomas, der leibhaftig vor der Leinwand herumschlappt, wie eine Trophäe. Eklig, denkt man, ja, „ist das eklig“, sagt er auch selbst und wie ihn der Ekel vor sich selbst langweilt.

Auf der Suche nach einem stärkeren Kick und einer größeren Dosis an Verbotenem ist er, der sich Rebel nennt, auf Hitlers „Mein Kampf“ gestoßen und berauscht sich an rassistischen Fantasien. „Lest doch mal vor“, fordert er zwei blonde Nymphchen auf, die ihren eigenen Verstand die meiste Zeit verstecken und in infantiler Diktion durch den Text stolpern: „Feldmaus paart sich mit Feldmaus, und Hausmaus paart sich mit Hausmaus.“ Wie die grüne Götterspeise, die dabei in ihren Händen zittert, zittert auch ihre Sprache. Und plötzlich muss man doch grinsen über diese schrecklich anstrengende Suche nach dem Bösen. Es muss echt wehtun, wenn ein Ende des Albtraums der Pubertät so wenig abzusehen ist.

„Macht und Rebel“, ein Roman des norwegischen Autors Matias Faldbakken über die Ausbeutung der Subversion, über die Suche nach Glamour im politisch Unkorrekten und die Hochpreissegmente des Skandalösen, zieht die Theatermacher an. An den Münchner Kammerspielen hat sich Schorsch Kamerun ein Stück aus dem Denken von Undergroundlern, Verrätern und Dogmatikern geschnitten, im Berliner Prater greift der junge Regisseur Robert Lehniger mit den Mitteln des Pollesch-Theaters nach dem Hohelied auf die Desintegration. Das Buch selbst, das 2005 im Verlag Blumenbar herauskam, ist zurzeit vergriffen, die Taschenbuchedition für den Sommer angekündigt. Einen anderen Roman von Faldbakkens „Skandinavischer Misanthropie“ nimmt sich Jan Jochymski, der in Jena mit Robert Lehniger gemeinsame Projekte bestritten hat, am Stuttgarter Theater vor, „The Cocka Hola Company“.

Rebel ist der ewig Unerlöste, der Mann mit der Gurke, auf der ständigen Suche nach Grenzüberschreitung und existenziellen Erfahrungen. In welchem Verhältnis er genau zu Macht steht, ob mehr Kumpel oder Gegenspieler, lässt die Theaterfassung kaum erkennen. Macht ist der Stratege, der Markenpiraterie als neue Wertschöpfung erkannt hat und im Auftrag der großen Labels koordiniert. Er ist ein Zyniker, der glaubt, mit diesem Tanz an der Spitze des Kapitals der eigenen Verelendung als „Kulturarsch, neoradikaler Bastard, kritischer Theoriepenner und dem großen Zigeunerlager der Textproduzenten und Gegenkulturratten“ entkommen zu sein. Genau die aber braucht dieses Kabarett als Zielgruppe und Publikum, sie sind im Prater wahrscheinlich tatsächlich dichter gesät als anderswo. Insofern ist das Stück hier am richtigen Platz angekommen.

Was der Bearbeitung aber fehlt, ist eine eigene Logik als Theaterabend. Zwischen den Szenen, die auf der Bühne und im Off vor der Kamera gespielt werden, ist der Glaube an das Medienspektakel als höchste Form der Wirklichkeit der einzig verbindende Kitt, während jede Form von Plot, Handlung, Konflikt zwischen den Figuren verlorengeht. Die von vielen Codes durchsetzte Sprache, die sich als krasser Jargon ausgibt und gelesen witzig-gemeine Volten schlägt, bildet gesprochen und gehört zu oft kryptische Schlingen, in denen sich das Verständnis verheddert. So kommt es, dass man dauernd den Faden verliert und damit das Krasse und Pornografische, das eh schon sehr dick aufgetragen ist, allen anderen Sinn verdrängt.

Dabei agieren die Schauspieler sogar – zurückhaltend. Wo schon so viel vom Körper und seinen Öffnungen die Rede ist, verstecken sie sich eher in ihren gesucht scheußlichen Klamotten und bewegen sich verhalten wie Kabelträger am Rande des Geschehens. Das macht die Sache aushaltbar, so gerade eben. Aber nach anderthalb Stunden ist die Erleichterung, dass alles vorüber ist, doch groß.

Wieder am 15./16. März und am 6. April im Prater, 20 Uhr