Neue Waffenruhe lässt Kämpfe abflauen

Palästinenserpräsident Abbas sagt Besuch im Gazastreifen ab. Israelische Armee rückt ins Zentrum der Region vor und reagiert mit Bombenangriffen auf den Beschuss mit Kassam-Raketen. Bedürftige Menschen werden aus der Stadt Sderot evakuiert

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Der Cartoonist der Ostjerusalemer Tageszeitung Al-Quds hat „Palästina“ für die gestrige Ausgabe des Blattes als ein mit Passagieren voll beladenes sinkendes Schiff gezeichnet. Über 40 Todesopfer forderten die seit Sonntag andauernden Straßenkämpfe im Gazastreifen. In der Nacht zum gestrigen Donnerstag erklärte die islamistische Hamas eine einseitige Waffenruhe, der sich die Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kurz darauf anschloss. Trotzdem starben bis zum Morgen fünf weitere Kämpfer. Nach tagelangem Stillhalten reagierte die israelische Luftwaffe mit Bombardierungen auf die jüngsten Angriffe mit Kassam-Raketen. Mindestens ein Palästinenser kam dabei ums Leben, über 30 wurden verletzt.

Abbas sagte am Nachmittag seinen geplanten Besuch in Gaza ab. Der Kapitän, so scheint es, bleibt lieber auf dem Trockenen, während seine Matrosen die Flagge einholen. Die Fatah-Aktivisten in Gaza sind auf sich gestellt – ohne Abbas und ohne den ehemaligen Sicherheitschef Mohammad Dahlan, der mit Rückenproblemen in einem ägyptischen Krankenhaus liegt. Eine Gruppe von führenden Parteiaktivisten rief die Fatah-Abgeordneten zu einem kollektiven Rückzug aus der Regierung und dem Parlament auf. Die Hamas, so heißt es in ihrer Erklärung, sei eine „unverantwortliche Bewegung“ geworden, die nichts unternähme, um die ihr angehörenden „mörderischen Banden“ in Gaza zu stoppen.

Der seit Ausbruch der Kämpfe am vergangenen Sonntag vierte Versuch, die „Straße“ zu beruhigen, blieb nur bedingt erfolgreich. „Es ist nicht mehr so schlimm wie gestern und vorgestern“, sagte Raed Athamna aus Beith Hanoun im nördlichen Gazastreifen, „aber wir hören immer noch Schüsse“. Athamna will seine Kinder frühesten am Sonntag wieder in die Schule schicken, vorausgesetzt, die Ruhe hält an. „Es ist kein Leben in Gaza mehr möglich“, sagt er. „Viele Leute sehnen sich sogar nach der (israelischen) Besatzung zurück“, fügt er bestürzt hinzu.

Zum ersten Mal seit der im November vereinbarten israelisch-palästinensischen Waffenruhe rückte die israelische Armee gestern wieder mit Panzern in den mittleren Gazastreifen vor. Grund ist der seit Anfang der Woche andauernde palästinensische Raketenbeschuss auf Sderot und andere israelische Ortschaften. Mit den von der Hamas mitgetragenen Angriffen soll eine israelische Großoffensive provoziert werden, um so die zerstrittenen palästinensischen Reihen wieder zu einen. Eine Methode, die sich in der Vergangenheit bewiesen hat.

„Wir lassen uns nicht in die palästinensischen Fraktionskämpfe ziehen“, versprach Israels Verteidigungsminister Amir Peretz noch vor wenigen Tagen, musste aber dem Druck von Premierminister Ehud Olmert und der Leute aus seiner Heimatstadt Sderot nachgeben. Allein am gestrigen Vormittag waren 13 Raketen auf die Stadt abgeschossen worden. Dabei trugen zwei Menschen leichte Verletzungen davon.

Das Verteidigungsministerium begann auch damit, besonders bedürftige Menschen für eine „Pause von den Raketen“ aus der Stadt zu holen. Die überwiegend älteren und alleinstehenden Leute wurden in Freizeitheimen für Soldaten und Jugendherbergen untergebracht. Die Regierung reagierte damit auf die Privatinitiative des russischstämmigen Multimillionärs Arkadi Gaydamak, der mehreren hundert Sderot-Bürgern Hotelunterkünfte in dem raketensicheren Beerschewa zur Verfügung stellte. Unterdessen machte Oppositionsführer Benjamin Netanjahu den Vorschlag, die Wasser- und Stromzufuhr zum Gazastreifen zu unterbrechen.

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