Sachsen-Mafia wird Bundesangelegenheit

Geheime Akten zu Korruption und Erpressung im Freistaat an sächsische und Bundesanwaltschaft übergeben

DRESDEN taz ■ Sachsen droht ein Korruptionsskandal ungeahnten Ausmaßes. Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) entschied am späten Dienstagabend, mehr als 100 geheime Aktenordner über ein kriminelles Netzwerk in Sachen den sächsischen Strafverfolgungsbehörden zu übergeben. Gleichzeitig gehen Kopien an Generalbundesanwältin Monika Harms. Insbesondere die Linkspartei hatte zuvor ihr Misstrauen gegen Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm bekundet, der sich in der Vergangenheit als das „personifizierte Gegenteil unparteiischer Ermittlungen erwiesen habe“, so der parlamentarische Geschäftsführer André Hahn im Landtag.

Über die tatsächliche Brisanz der mehr als 15.000 Aktenblätter, die der Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren zusammengetragen hat, wird derzeit viel spekuliert. Von einer möglichen Staatsaffäre ist die Rede, weil auch hochrangige Politiker und Justizbehörden in ein Geflecht von Immobilienschiebereien, Korruption, Erpressung, Kinderprostitution und sogar Mord verwickelt sein sollen. „Ich dachte immer, dass es so etwas nur in miesen Krimis gibt“, äußerte sich der CDU-Landtagsabgeordnete Frank Kupfer, der als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission für den Verfassungsschutz Akten einsehen konnte.

Schwerpunkte dieses Netzwerks sollen im Raum Leipzig und in Südwestsachsen liegen. Es geht vor allem um unaufgeklärte oder vertuschte Straftaten aus den Neunzigerjahren.

Der Verfassungsschutz hatte die Fälle zusammengetragen, was im Sommer 2006 den sächsischen Datenschutzbeauftragen Andreas Schurig (SPD) auf den Plan rief. Denn die Beobachtung der organisierten Kriminalität gehört zu den Aufgaben der Polizei. Der Verfassungsschutz verstieß also gegen das übliche Trennungsgebot. Formal musste der Datenschützer deshalb die Vernichtung der illegal gesammelten Akten verlangen. Die fünfköpfige Kontrollkommission des Landtages entschied letztlich einstimmig, die Akten freizugeben und an die Staatsanwaltschaft zu überstellen. Sie entsprachen damit auch dem Wunsch des Innenministers und zahlreicher Landespolitiker.

In ebensolcher Einmütigkeit kritisierte sie jedoch zugleich den Verfassungsschutz und verlangte personelle Konsequenzen an der Spitze des Landesamtes, das selbst in der Geruch der Strafvereitelung geraten ist. „Die Akten hätten längst den Ermittlungsbehörden übergeben werden müssen“, bemängelte André Hahn, der für die Linksfraktion.PDS in der PKK des Landtages sitzt. Seine Fraktion legte deshalb umgehend einen Gesetzentwurf vor, der die Kontrolle des Geheimdienstes durch das Parlament stärken soll. Unter den Papieren sollen auch ganz legale Polizeiakten sein, die nicht zu einer Strafverfolgung führten.

Es handelt sich also offensichtlich um mehr als nur eine „Gerüchtesammlung“, wie aus Leipzig schon abwehrend unterstellt wurde. Gegen einen ehemaligen Leipziger Oberstaatsanwalt wird seit Wochenbeginn bereits offiziell ermittelt.MICHAEL BARTSCH