Pflaster für den Gletscher

„Wenn man den Gletscher als Arbeitsplatz hat, möchte man den natürlich erhalten“

VON DER ZUGSPITZE MAX HÄGLER

Immer wieder kracht der Holzhammer auf den Pfosten. Der bärtige Mann im blauen Schneeanzug holt aus, schwingt das Werkzeug über den Kopf und treibt das zwei Meter lange Holz in den feuchten Pappschnee. Zehn, fünfzehn Schläge, dann ragt nur noch ein kleines Stück aus dem Weiß. Schiere Kraft, um zu retten, was noch zu retten ist.

Seit vierzehn Jahren kämpft die Zugspitz AG, Betreiberin des Touristenziels Zugspitze samt seiner Skianlagen, um das letzte bisschen Eis, das es noch gibt auf dem höchsten Berg Deutschlands. Einige hundert Meter des verkarsteten Felsgesteins sind derzeit noch bedeckt von dem, was vor wenigen Generationen noch das ewige Eis genannt wurde. Doch der Gletscher ist auf dem Rückzug. Waren es zu Beginn der wissenschaftlichen Aufzeichnungen im Jahr 1820 noch 300 Hektar Eis, sind heute nur noch 45 übrig. Der Rest: Geschmolzen durch Sonneneinstrahlung und Sommerregen. Und die Prognose ist düster. Die Experten des Umweltministeriums geben dem Zugspitzgletscher noch 15 Jahre.

Genau dagegen kämpft das Dutzend Männer, die seit Anfang Mai über die Schneefläche wuseln. Drei rote Pistenraupen schaufeln blinkend und piepsend Schneereste heran. Mit der Motorsäge werden Holzlatten zurechtgesägt und Rahmen gebaut, an die schließlich schmutzig-weiße Kunststoffmatten gebunden werden.

„Festzwirbeln!“, ruft Manfred Haas, der Chef der Truppe. Wieder ist eine Stoffbahn ausgerollt auf dem Schnee, dreißig Meter lang, fünf Meter breit. Geschickt flechten die Männer rote Reepschnüre durch die Ösen und fixieren so die gewaltigen Pflaster. Denn nichts anderes sind die Kunststoffmatten, die Jahr für Jahr auf der Zugspitze verlegt werden: Pflaster zum Schutz gegen Sonne und Regen. 2,3 Millimeter dick sind sie, aus aufgeschäumtem Kunststoff, so ähnlich wie der Stoff, aus dem Bügelbrettbezüge gemacht sind.

Sie sollen einiges können: das Regenwasser ableiten, die Sonne reflektieren, die Kälte isolieren und – eben – Schnee und Eis bewahren. Sechs bis sieben Meter Schnee liegen unter den Matten, auf der Piste liegen geblieben und von den Raupen herangeschaufelt. Darunter: das blanke Eis. Der Schneefernergletscher. Sechzig, siebzig Meter ist er dick, so genau weiß das keiner, in seinem gefrorenen Wasser ist der Liftpfeiler verschraubt. Ein Stück Eis, das deshalb besonders geschützt werden muss. „Wenn wir die Matten nicht auslegen, würden wir über den Sommer sicher den gesamten Schnee verlieren“, erklärt Manfred Haas. Schwer vorstellbar. In der Nacht zuvor hat es ein paar Zentimeter geschneit. Jetzt ist das gesamte Zugspitzplatt, ein von Felswänden eingerahmtes Plateau dreihundert Meter unter dem Gipfel, eingepudert. Vom Klimawandel ist für den Laien wenig zu sehen.

Doch der schöne, weiße Schein ist schnell vorbei in Zeiten der Klimaerwärmung. An einem heißen Sommertag verliert der Gletscher zehn Zentimeter, hat das bayerische Umweltministerium errechnet. 35 Millionen Liter Wasser schmelzen dann binnen 24 Stunden und rinnen durch Felswindungen und Höhlen hinab ins Tal. Das entspricht einem Drittel des Wasserbedarfs der Landeshauptstadt München. Im Hochsommer sieht man die ganze Wahrheit: Schotter und Felsen, ein schmutziggrauer Gletscher mit ein paar Matten drauf.

Kein schönes Bild, aber die Zugspitze unterscheidet sich nicht von den übrigen Hochgebirgen der Erde. Laut World Glacier Monitoring Service haben die Gletscher weltweit seit 1980 jährlich durchschnittlich 30 Zentimeter an Eisdicke verloren. Experten der Vereinten Nationen, von NGOs, auch der deutschen Regierung sind sich einig über die Zukunft: Kleinere Alpengletscher, auch der Zugspitzgletscher, werden bis 2050 vollständig verschwunden sein. Und auch die größeren, ob in den Schweizer Alpen oder im Himalaja, werden bis zur Mitte des Jahrhunderts 30 bis 70 Prozent ihres Volumens eingebüßt haben. Die Folgen werden Wasserknappheit und Felsabbrüche sein, Flora und Fauna werden sich verändern und der Tourismus wird Einbußen zu verkraften haben.

Vor allem das ist ein Problem auf der Zugspitze. Naturkatastrophen kann der Zugspitzgletscher nicht auslösen, dafür ist er zu klein. Aber die jährlich 500.000 Touristen wollen ihn sehen – deshalb wird das Eis auf Deutschlands höchstem Berg von Haas und seinen Männern mit Matten geschützt. „Natürlich ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein und zögert das Ende nur hinaus“, gesteht der Snowfarmer, wie die Zugspitz-Presseabteilung Haas nennt. 6.000 Quadratmeter hat er im letzten Jahr ausgelegt, heuer sind es schon 9.000 Quadratmeter, vierzehn Tage rackern sich die starken Männer ab. Haas’ Motivlage ist klar: „Wenn man den Gletscher als Arbeitsplatz hat, dann möchte man den natürlich möglichst lang erhalten.“

Denn die Zugspitze lebt nicht allein von ihrer Höhe – mit ihren 2.962 Metern ist sie zwar Deutschlands höchster Berg, aber im Vergleich zu vielen Dreitausendern in Österreich kaum der Rede wert. Der Gletscher ist ein wichtiger Marketingfaktor, wie Eva-Maria Greimel sagt. „Die Touristen freuen sich ungemein, wenn sie aus der Liftstation kommen und Schnee und Eis sehen“, erklärt die Sprecherin der Zugspitz-Bahn. „Und mit dem Gletscher als Grundlage und dem konservierten Schnee können wir den Skibetrieb schon im Oktober oder November beginnen. Das wollen die Leute und das ist unser Geschäft“, erklärt Greimel den Nutzen von 45 Hektar Eis samt Sommerpflaster.

An kaum einem anderen Ort lassen sich Erderwärmung und der Klimawandel so gut erkennen wie an den Gletschern der Hochgebirge. Seit Jahren schmelzen dort die Eiszungen ab. Die Zugspitze, der höchste der fünf deutschen Gletscher, verliert an einem heißen Sommertag 35 Millionen Liter Wasser. Auch anderswo schmilzt das ewige Eis: Der Kilimandscharo wird jedes Jahr einen halben Meter dünner, in 10 bis 20 Jahren ist er wohl komplett zusammengeschmolzen. Ebenfalls am Zerrinnen sind die Himalaja-Gletscher, die die Wassergrundlage für zwei Milliarden Menschen sind. MH

Schon vor vierzehn Jahren hat man auf der Zugspitze das erste Mal mit Schutzfolien experimentiert. „Damals gab es noch keine Klimadiskussion“, erinnert sich Snowfarmer Haas. „Wir haben einfach gemerkt, dass die Sommer immer wärmer werden und dass die Liftpfeiler ihre Position verändern.“ Seit 17 Jahren arbeitet der gelernte Schlosser und ausgebildete Seilbahnführer auf der Zugspitze, er bekommt den Klimawandel direkt mit. Auswirkungen auf das eigene Leben drunten im Tal hat das aber nicht. „Die Möglichkeiten für den Einzelnen sind doch viel zu gering“, meint er. „Entweder müssten alle bei Dreiliterautos mitmachen oder man müsste die Großen anpacken, die diesen Klimawandel verursachen, bei den Asiaten und den USA.“

Ein paar hundert Meter weiter unten, an der Talstation des Schlepplifts, Sonnalpin genannt, sitzt Chang in der Sonne. Aus Taiwan kommt er, studiert Betriebswirtschaft in den USA. Ob er auch hier heraufkäme, wenn es keinen Gletscher gäbe? „Keine Ahnung“, meint er lachend, „ich kann mir das nicht vorstellen hier, ohne Gletscher, ohne Schnee.“

Vom schwindenden Zugspitzgletscher hat er noch nichts gehört, aber von den schmelzenden Polkappen. „They don’t talk about that in the news“, meint er mit Blick auf die Staaten und seine Heimat – man erfahre so was nicht aus den Nachrichten. Nur im Internet lese er ab und zu vom Klimawandel und so einem Protokoll, „I think, it’s called Kyoto or something like this.“

Ein Pärchen aus Düsseldorf, beide Ende 30, weiß mehr von Kioto-Protokoll und Klimawandel. Die beiden sind zum ersten Mal auf der Zugspitze, eingepackt in Fleecejacken sitzen sie an der kleinen Kapelle. „Natürlich macht man sich Gedanken“, sagt der Mann, und dass sie erst vor ein paar Wochen in Hamburg von einem NDR-Reporter genau zum selben Thema befragt worden seien. Da waren sie gerade zu einem Tagestrip angekommen, per Flugzeug, aus Düsseldorf. „Ich sage Ihnen dasselbe wie damals: Natürlich denkt man nach, dass das eine Menge Sprit verbraucht und dass die Fahrt mit der Bahn viel umweltfreundlicher wäre.“ Aber der Preis müsste eben stimmen. „Solange der Flug 17 Euro kostet und die Bahnfahrt 168, fliegen wir.“ Auch nach dem Tagestrip auf die Zugspitze, zu dem verwundeten Gletscher mit dem Pflaster.