„Großer Fang“ in Pakistan

Mullah Obaidullah, Stellvertreter von Taliban-Chef Mullah Omar, festgenommen

DELHI taz ■ Zum ersten Mal ist es Pakistan gelungen, einen hohen Talibanführer festzunehmen. Mullah Obaidullah Akhund war laut Angabe der Internetausgabe der pakistanischen Tageszeitung Dawn, die sich auf Geheimdienstquellen berief, bereits am Montag in Quetta nahe der Grenze zu Afghanistan gefasst worden. Er hatte bis zum 11. September 2001 mehreren Talibanregierungen angehört, zuletzt als Verteidigungsminister. Er tauchte danach unter und schlüpfte wie viele andere Taliban über die Grenze nach Pakistan. Akhund gilt als einer der beiden Stellvertreter des Talibanchefs Mullah Omar und wäre damit der Erste aus der obersten Führung, der den Behörden ins Netz ging.

Ein Hinweis auf die Wichtigkeit des Fangs dürfte die erste Reaktion eines Talibansprechers sein, der die Festnahme dementierte und erklärte, Akhund befinde sich im „Heiligen Krieg“ in Afghanistan. Eine offizielle Bestätigung der Festnahme aus Islamabad gab es bislang nicht. Wie die New York Times gestern berichtete, bestätigen auch Quellen aus Washington, dass Obaidullah festgenommen worden sei. Gleichzeitig wurden jedoch Zweifel laut, dass mit der Festnahme ein entscheidender Schlag gegen die Taliban gelungen sei. „Er ist ein großer Fang, aber hier glaubt niemand, dass wir damit die Taliban dauerhaft geschwächt haben“, zitiert das Blatt Washingtoner Regierungskreise. Ein Sprecher des afghanischen Verteidigungsministeriums erklärte nach Angaben der Agentur AP hingegen, die Festnahme würde das Kommandosystem der Taliban beeinflussen. „Er war eine wichtige Person in der Talibanbewegung“, sagte Mohammed Zahir Azimi. „Das wird ein schwerer Schlag für die Moral der Taliban sein.“

Die Festnahme Obaidullahs kann als Versuch Präsident Musharrafs gelesen werden, die Amerikaner zu besänftigen. Diesen Eindruck möchte man aus innenpolitischen Gründen in Islamabad gern vermeiden. Pakistanische Kommentatoren wiesen daher gestern darauf hin, dass Akhund bereits vor der Ankunft des amerikanischen Vizepräsidenten Dick Cheney am Montag in Pakistan festgenommen worden war. Cheney hatte Musharraf aufgefordert, mehr zu tun, um dem Einsickern von Talibankämpfern nach Afghanistan ein Ende zu machen.

Inzwischen haben auch die Gotteskrieger gelernt, die Medien für ihre psychologische Kriegsführung einzusetzen. Erst am Donnerstag hatte Mullah Dadullah, der angebliche Kriegschef der Taliban in Afghanistan, vor laufenden Kameras wiederholt, Hunderte seiner Kämpfer stünden bereit, sich als Selbstmordattentäter zu opfern, und rund 8.000 Taliban warteten in ihren Stellungen in Afghanistan auf das Zeichen zum Angriff. Dies mag übertrieben sein. Doch nach den blutigen letzten Monaten ohne entscheidende Kampferfolge nimmt die Nato-Führung die Drohungen wesentlich ernster als im vergangenen Jahr. Dabei wächst auch auf Deutschland stetig der Druck, sich an den Kämpfen im Süden zu beteiligen. BERNARD IMHASLY

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