Alles in Ordnung

Obdachlose in Hauseingängen oder Radfahrer in der Fußgängerzone sind in Stade nicht gerne gesehen. Seit kurzem sollen „Bürger im Dienst“ ihre Mitbürger zu mehr Gesetzestreue animieren und außerdem die Sicherheit in der Stadt verbessern. Die Idee finden manche Stader nicht so toll

Allen Bürgern im Dienst bescheinigt die Stadtverwaltung eine hohe „soziale und kognitive Kompetenz“

AUS STADE KARIN CHRISTMANN

Ihren ersten Einsatz haben Lober und Bründer bei einer Fußgängerunterführung neben dem Bahnhof. Radfahren ist hier verboten und deshalb geht Lober ohne Zögern auf den ersten Radfahrer zu, der ihm entgegenkommt. Mit ausgestreckter Handfläche stellt er sich in seinen Weg: „Einmal absteigen, bitte“, sagt Lober mit einem Lächeln. Ein Radfahrer nach dem anderen kommt die Kurve hinabgefahren und schiebt nach der Begegnung mit Lober auf der anderen Seite der Unterführung sein Fahrrad bergauf. Während Lober die Radfahrer anspricht, rupft Bründer das Gebüsch weg, das die Ränder des Verbotsschildes überwuchert hat.

Hans-Peter Lober und Horst Bründer patrouillieren als „Bürger im Dienst“ durch die Straßen von Stade, einer 46.000 Einwohner-Stadt zwischen Cuxhaven und Hamburg. Sie sind ein Teil des Feldversuchs „Freiwilliger Ordnungs- und Streifendienst“. Das Steckenpferd des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann: „Sicherheit und Ordnung gehen uns alle etwas an“, findet er. Er scheiterte mit seiner Idee, Bürger zu Hilfspolizisten zu machen und sie Ausweise kontrollieren und Platzverweise aussprechen zu lassen. Deshalb schickt er seit Anfang Mai „engagierte Mitbürgerinnen und Mitbürger“ ohne besondere Befugnisse auf Streifengänge. Sie haben nur die so genannten Jedermann-Rechte. Die Opposition im Landtag hält das für eine fixe Idee des Innenministers – und für völlig überflüssig. Lober und Bründer freuen sich, dass sie ihrer Heimatstadt etwas zurückgeben können. Anlässe für einen Streifendienst sehen sie genügend: „Die parken ihre Fahrräder aber auch, wo sie wollen.“

Auf seinen Rundgängen möchte Horst Bründer den „Puls der Geschichte“ von Stade spüren. Das Blumenzüchten im heimischen Garten füllt den Frührentner nicht aus. Der pensionierte Polizist Lober hofft dagegen auf „Action“ und trägt sich deshalb am liebsten für die Spätschichten von 20 bis 23 Uhr ein. Mit ihren Rundgängen wollen die beiden ihre Mitbürger zu mehr Gesetzestreue bewegen: „Wenn die wieder mal zwei blaue Jacken sehen, steigen sie vielleicht ab“, sagen die Bürger im Dienst, als sie Radfahrer in der Fußgängerzone vom Schieben überzeugen können.

Sieben Mal im Monat werden Lober und Bründer künftig auf Streife gehen. Vor Schichtbeginn treffen sie sich in der Stader Polizeiwache und holen ihre Ausrüstung aus einem Spind: Zwei blaue Jacken mit dem Schriftzug „Bürger im Dienst“, zwei blaue Schirmmützen mit einem „Stade“-Aufdruck. Horst Bründer kämpft mit dem blauen Rucksack, den er sich mit einem Gurt quer über die Brust binden soll. Nach einigen Minuten gibt er auf und wirft sich die Tasche einfach über die Schulter. Dann beginnen die beiden ihren Rundgang, im gemütlichen Tempo. „Wir sind schließlich nicht auf der Flucht.“

Von Konkurrenzdenken ist in der Polizeiwache nichts zu merken. Die Polizisten freuen sich über die ehrenamtliche Unterstützung. Das ist nicht überall so: Die niedersächsische Gewerkschaft der Polizei kritisiert das Pilotprojekt als populistisch und fürchtet, dass es weniger Polizisten geben werde, wenn immer mehr Bürger auf Streife geschickt würden. Lober und Bründer wollen kein vollwertiger Polizei-Ersatz sein. Aber Abhilfe angesichts des chronischen Personalmangels der Polizei wolle er durchaus schaffen, erzählt Lober. Er ist pensionierter Polizist – als einziger der insgesamt 15 Bürger im Dienst.

Die Stadtverwaltung erhofft sich von ihrer Bürgerstreife ein höheres subjektives Sicherheitsgefühl der Stader Einwohner. Wer abends alleine ins Parkhaus am Bahnhof müsse, werde sich über einen Bürger im Dienst freuen, hofft Ursula Seidelmann. Sie ist in der Stadtverwaltung für die Bürger im Dienst zuständig.

Seidelmann möchte die Bürgerstreifen am liebsten rund um den Bahnhof sehen. Lober und Bründer können dort auf ihrem Rundgang nur einige Falschparker ermahnen. Heute, in der Frühschicht von 17 bis 20 Uhr, möchte noch niemand ins Parkhaus begleitet werden. Auch an den so genannten Brennpunkten der Stadt ist alles ruhig. Das Ufer der Schwinge gehört zum Beispiel dazu. Der Fluss fließt träge durch die Stadt und an seinem Ufer sind heute nur gelegentlich ein Jogger oder eine Radfahrerin unterwegs. In der Nähe liegt eine große Wiese. Das frühere Kiffer-Paradies ist jetzt mit hohen Metallgittern abgesperrt, und es ist niemand in Sicht.

Nach ihrer Schicht halten die Bürger im Dienst auf Berichtsbögen fest, was sie erlebt haben. „Alkohol trinkende Jugendliche beobachtet“ hat ein Kollege in Schönschrift notiert. Außerdem hat er einen Streit zwischen Jugendlichen geschlichtet und „Gespräche mit Bürgern“ geführt. „Schön, dass es Euch gibt!“ – das hören auch Lober und Bründer mehrmals. Ein anderer Kollege schreibt auf seinem Bogen: „Obdachlosen aus dem Hauseingang Schröder-, Holzstraße zum Verlassen aufgefordert.“ Das würde Hans-Peter Lober auch machen: „Schließlich fühlt sich die Bevölkerung gestört, wenn da so ein schmuddeliger Typ herumliegt.“

Allen Bürgern im Dienst bescheinigt die Stader Stadtverwaltung eine hohe „soziale und kognitive Kompetenz“. Von den 40 Bewerber mussten diejenigen aussortiert werden, die nicht in der Lage waren, „sich in Konfliktsituationen verbal zu artikulieren“, berichtet Seidelmann. Am Ende suchte die Stadt 15 besonders kompetente Bürger aus und bereitete sie mit einem zweitägigen Seminar auf ihre Dienste vor.

Die Staderin Kathrin Eickmann ist bei der Fußgängerunterführung am Bahnhof schon einmal zweien der erfolgreichen Bewerber begegnet. „Sie haben die Radfahrer unheimlich angepfiffen“, erzählt sie, „und haben sie dann einfach stehen gelassen“. Das kann Hans-Peter Lober besser: „Schön absteigen und den Rest bitte laufen“, sagt er zu einer Jugendlichen und erklärt noch einmal das Verbotsschild.

Später halten Lober und Bründer Radfahrer an, die durch die Fußgängerzone fahren. Es sind kaum noch Fußgänger unterwegs, die sich gestört fühlen könnten, aber danach wollen Lober und Bründer nicht gehen: Verboten ist verboten. Doch auch Lober und Bründer lassen manchmal Gnade vor Recht ergehen: Als sie an einem Schulhof vorbeikommen, sehen sie zwei Jugendliche, die ihren sechzehnten Geburtstag sicherlich schon hinter sich haben. Das Schild vor dem Tor ist eindeutig: Spielen verboten für Kinder über zwölf. Horst Bründer winkt ab: „Ach, lass mal. Die spielen ja ganz friedlich.“