Pflegestation statt Polizeiwache

DEMENZ Wenn orientierungslose SeniorInnen auf der Straße aufgegriffen werden, mussten sie bisher auf der Polizeiwache sitzen, bis ihre Identität geklärt war. Jetzt gibt es dafür Pflegeeinrichtungen

VON KATHARINA SCHIPKOWSKI

Eine „kleine Stadt für Senioren“ soll es sein – so steht es auf dem Schild, das wie ein Ortsschild am Eingang des Hospitals zum Heiligen Geist steht. Das Hospital in Poppenbüttel ist mit 1.100 Plätzen eine der größten Pflegeeinrichtungen Hamburgs – mit Schwimmbad, Krämerladen, Kegelbahn und Frisör.

Noch ist keiner gekommen

Seit Juli ist die Einrichtung auch Teil eines neuen Pflegeprogramms, das der Hamburger Senat beschlossen hat: Zwölf Pflegeheime mit Rund-um-die-Uhr Aufnahmen sind jetzt dafür zuständig, alte Menschen, die orientierungslos auf der Straße aufgegriffen werden, schnell und unkompliziert aufzunehmen. In der „Kurzzeitpflege“ werden sie dann betreut, bis ihre Identität festgestellt ist und sie dahin zurückgebracht werden können, von wo sie herkommen.

So jedenfalls die Theorie. Praktisch gab es im Hospital zum Heiligen Geist noch keinen Fall. „Das Angebot steckt noch in den Kinderschuhen“, sagt Frank Schubert, Vorstand des Hospitals. Theoretisch soll es so ablaufen: „Die Polizei ruft an und fragt, ob wir was frei haben“, erklärt Schubert. „Wenn ja, bringen sie die Person her. Während ein Stationsmitarbeiter mit einem Polizisten die Formalia bespricht, bringt ein anderer Pfleger den Patienten aus der Schusslinie.“ Die Aufgegriffenen seien gegebenenfalls in einem desolaten Zustand – man wisse nicht, wie lange sie schon auf der Straße herumgeirrt wären. Duschen, Essen und Trinken anbieten, für den Patienten da sein, das sei dann erstmal ganz wichtig.

„Man muss den Leuten ihre Ängste nehmen“, erklärt Gudrun Franke, Pflegedienstleiterin der „Solitären Kurzzeitpflege“ im Haus „Hortensie“. Im Hospital zum Heiligen Geist haben alle Häuser Pflanzennamen: „Calendula“, „Dahlie“, „Goldregen“, „Enzian“. Warme Farbtöne dominieren die Einrichtung der Station, selbst gemalte Aquarellbilder hängen an den Wänden. Im Aufenthaltsraum sitzen sieben alte Menschen um einen Tisch herum und wollen zusammen singen. An der Wand steht eine große hölzerne Uhr, ein goldenes Pendel schwingt im Kasten.

„Zu uns kommen Patienten, die aus dem Krankenhaus entlassen werden, aber noch nicht wieder selbstständig leben können“, erklärt Franke. Sie koordiniert seit fünf Jahren die Pflegedienste der „Solitären Kurzzeitpflege“. Heutzutage werde man ja immer früher aus dem Krankenhaus entlassen, sagt sie. Bis zu 28 Tage können die Entlassenen dann in der Kurzzeitpflege bleiben, hier werden sie „wieder fit gemacht“. 38 Plätze gibt es auf der Station, und meistens sind sie ausgelastet.

Bisher mussten demente SeniorInnen, die orientierungslos auf der Straße aufgegriffen wurden, bis zur Feststellung ihrer Identität auf der Polizeiwache bleiben. „Wir haben die Personen erst einmal in den sogenannten ‚Sicheren Räumen‘ der Polizeikommissariate untergebracht“, berichtet Andreas Schöpflin, Sprecher der Polizei Hamburg. Diese seien mit einer Bank, einer Liege und einem Tisch ausgestattet. „Die Dauer des Aufenthalts auf der Wache konnte im Einzelfall sehr kurz sein“, sagt Schöpflin, „aber auch über Nacht andauern, im Extremfall ein ganzes Wochenende.“ Für die Betreuung waren die diensthabenden Beamten zuständig.

Gudrun Franke stellt sich die Situation so vor: „Oma Plaschke sitzt auf der Polizeiwache, weiß nicht wer sie ist und wo sie ist, und findet vielleicht auch das Klo nicht. Dem jungen Polizisten, der sie betreuen soll, ist das alles ziemlich unangenehm, er ist hoffnungslos überfordert.“ Dabei sei Einfühlungsvermögen im Umgang mit Dementen sehr wichtig. „Aber das ist eigentlich bei allen Patienten so.“

Zwei Fälle für das neue Angebot hätte es schon geben können, erinnert sich Franke, aber da wurde dann nichts draus. Einmal rief die Polizei an und wollte jemanden einweisen, aber da war gerade kein Bett frei. Die Station musste ablehnen. Ein anderes Mal war zwar Platz, aber bevor die Polizei die Dame vorbeibringen konnte, hatte sie schon jemand als vermisst gemeldet. So konnte sie zurück in ihre eigene Wohnung.

Angst vor Demenz

Draußen vor dem Haus „Hortensie“ sitzen drei Senioren in Rollstühlen in der Sonne. Einer spielt Mundharmonika, die anderen lauschen still: Beethovens „Freude schöner Götterfunken“. Gerd Rahmann ist 69 Jahre alt und wohnt seit vier Jahren im Hospital zum Heiligen Geist. Auf Wunsch spielt er auch Hans Albers. Früher hat er mal Ziehharmonika gespielt, aber die ist ihm inzwischen zu schwer. Sein Sitznachbar, der auch Gerd heißt, spielt auch Mundharmonika, aber deutlich zaghafter. „Er hat nicht so viel Luft“, sagt der eine über den anderen.

In der Einrichtung fühlen sich die beiden wohl. Bei gutem Wetter spannt das Pflegepersonal manchmal die Sonnenschirme auf, dann sitzen sie hier mit zehn, zwölf Leuten draußen und die, die spielen können, geben ein Konzert. Ziemlich laut müsse man dann spielen, die meisten sind ja schwerhörig. „Viele sind auch dement“, fügt der dritte Mann hinzu. Josef ist 87, „sehr jung also“, wie er sagt. Vor Demenz haben sie alle drei ein bisschen Angst. „Wenn man dement ist, fehlt dem Leben die Würze“, meint Josef. Er sagt noch zwei Gedichte auf und entschuldigt sich dann. Er kriegt noch Besuch.