Nigerias Ölrebellen sind heute so stark wie nie

Im Endspurt zu Nigerias Wahlen im April nimmt die Gewalt in den Ölgebieten des Niger-Flussdeltas zu. Die Rebellen sind gut bewaffnet und können Politikern, die sie für den Wahlkampf kaufen wollen, die Bedingungen diktieren

LAGOS taz ■ Die Polizisten hatten Soboma George wohl nicht erkannt. Sonst hätten sie es nicht gewagt, ihn wegen eines Verkehrsdelikts einzukassieren. Denn kurz nach seiner Festnahme zogen Sobomas Gefolgsleute mit schweren Maschinengewehren durch Nigerias wichtigsten Ölhafen Port Harcourt und befreiten ihren Anführer aus der Polizeizelle.

Der Vorfall zeigt, wie stark die Rebellen in den nigerianischen Ölgebieten des Niger-Flussdeltas mittlerweile geworden sind – kurz vor den Wahlen am 14. und 21. April, wenn in Nigeria Präsident, Parlament und die Regierungen der 36 Bundesstaaten neu bestimmt werden sollen. Der Begründer des vor mehreren Jahren ausgebrochenen Nigerdelta-Aufstands, Mujahid Asari-Dokubo, sitzt in Haft und bewirbt sich aus der Zelle um den Gouverneursposten in Port Harcourt. Die ständigen Geiselnahmen ausländischer Mitarbeiter von Ölfirmen durch die Rebellen laufen auf Hochtouren. Ein Höhepunkt war ein Zwischenfall, als Milizen ein ganzes Schiff kaperten und zwei Dutzend Filipinos verschleppten. Derzeit befinden sich sechs ausländische und zwei nigerianische Geiseln in den Händen der Ölrebellen, wie die laufend aktualisierte Internet-Seite www.oyibosonline.com gestern bilanzierte.

Entführungen und Gewalt im Niger-Flussdelta gelten mittlerweile als „Business as usual“. Schon bei Nigerias letzten Wahlen 2003 hatten lokale Politiker im Nigerdelta die rebellierenden Milizen aufgerüstet, um sie für sich arbeiten zu lassen. Obwohl sich die Milizen später von den Versprechungen der Politiker enttäuscht zeigten, haben sie seitdem Waffen und können selbst Geld generieren. Viele zogen sich in die unzugänglichen Mangrovensümpfe des Nigerdeltas zurück, zapften Ölpipelines an und verkauften dann mit Riesengewinn das gestohlene Gut. Andere wie Soboma George machten Port Harcourt, zu einem Bandengebiet. Tausende Jugendliche sind dort von Gangs mit Namen wie „Vikings“, „Greenlander“, „KKK“ oder „Icelander“ rekrutiert worden.

Der BBC sagte Soboma George vor kurzem, er erwarte auch für diese Wahl, dass Politiker versuchen, die Gangs zu kaufen. Aber jetzt seien die Banden so stark, dass sie selbst die Bedingungen stellen können. „Bei dieser Wahl sind wir es, die entscheiden, wer gut ist und die Arbeit verrichten kann“, sagt Soboma.

Man könnte diese Entwicklung begrüßen. Nigerias Politiker sind korrupt – den Wahlkampf beherrscht der Streit darüber, wer wann welche Staatskasse angezapft hat. Dagegen, könnte man meinen, müssten es große Gruppen, deren Anführer sich jeden Tag ihrem Gefolge stellen, mit der Armutsbekämpfung ernster nehmen. Aber auch der weitaus größte Teil der Jugendmilizen scheint mittlerweile von rein krimineller Energie zu sein: Es geht ums Geld.

Olusegun Mayegun kandidiert für Nigerias Senat. Früher war er ein nationaler Studentenführer und dabei Mentor von späteren Rebellen wie Mujahid Asari-Dokubo. Selbstzerstörerische Kräfte seien im Nigerdelta am Werk, sagt er heute. Das Nigerdelta ist trotz des Unmuts seiner Bevölkerung gegen die Ölkonzerne und die Unterentwicklung nicht homogen. Neben der wichtigsten Volksgruppe der Ijaws gibt es eine Vielzahl kleinerer Volksgruppen, die sich auch gegenüber den Ijaws benachteiligt fühlen. Das macht eine Befriedung schwierig.

Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo, der seit 1999 regiert und damals die Militärdiktatur des Landes ablöste, setzte gegen die Ölrebellen immer auf die militärische Lösung. Die muss als gescheitert betrachtet werden, denn noch nie waren die Rebellen so aktiv wie heute. Auch das Militär ließ bereits mehrmals verlauten, dass eine ultimative Lösung nur politisch sein kann. Obasanjo, der dieses Jahr nicht mehr kandidieren darf, scheint dies eingesehen zu haben. Er fädelte für seine Nachfolge ein, dass neben dem Präsidentschaftskandidaten seiner Partei, Umar Musa Yar’Adua, der einzige Ijaw-Gouverneur Nigerias, Goodluck Jonathan aus dem Bundesstaat Bayelsa, Vizepräsident werden soll. Mit dem Generalstabschef stellen die Ijaws bereits einen anderen wichtigen Vertreter in einem Spitzenposten. Aber dies wird die Rebellen nur dann besänftigen, wenn sie in Nigerias Politik für sich eine Zukunft sehen. HAKEEM JIMO