Lehm und Rosen

Auf den Spuren der Lehm- und Backsteinstraße in Mecklenburg-Vorpommern können Urlauber eine Menge über den uralten Baustoff lernen. Attraktionen sind auch der Wangeliner Garten mit über 900 Pflanzenarten sowie eine Filzmanufaktur

Vom 25. bis 26. Mai findet ein Kurs „Lehmputze für EinsteigerInnen“ in Ganzlin statt. Praktische und experimentelle Übungen machen mit den Eigenschaften des Lehms vertraut. Anreise: Von Hamburg oder Berlin auf der A 24 bis Ausfahrt Parchim oder Meyenburg oder mit dem Zug bis Karow Öffnungszeiten: Lehr- und Erlebnisgarten Wangelin, werktags 10 bis 18, am Wochenende 11 bis 18 Uhr. Tel. (03 87 37) 2 01 42. Lehmmuseum Gnevsdorf dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, Manufaktur Ülepüle werktags von 10 bis 16 Uhr, samstags 14 bis 18 Uhr. Tel. Auskunft: (03 87 37) 2 01 24. Ziegelei Benzin, montags bis freitags 7 bis 17, am Wochenende 10 bis 17 Uhr MW

Lehm + Backsteinstraße e. V., Am Bahnhof 2, 19395 Ganzlin, Tel. (03 87 37) 2 02 07, www.fal-ev.de

VON MARCO WOLDT

Salvador Dalí hätte die Fahrt nach Karow gewiss gefallen: eine surreal anmutenden Reise mit der Bahn. An beiden Seiten des leeren Waggons strecken sich die verlassenen gelbgrünen Felder bis an den Horizont. Weit und breit keine Menschenseele, nur das monotone Rattern auf den Gleisen dient als Begleiter.

Der zerfallene Bahnhof, an dem der Zug anhält, wirkt wie die Station einer Geisterstadt. Doch der erste Eindruck täuscht – die kleine Region westlich des Plauer Sees strotzt nur so von Leben. „Wir wohnen am Anus der Welt“, gibt Udo Steinhauser, engagiertes Mitglied der Lehm + Backsteinstraße e. V., zu. „Doch aus der Not machen wir eine Tugend.“ Anstatt in der Provinz zu versauern, wissen die ambitionierten Bewohner der Plauer Region, Landschaft und Natur für sich zu nutzen. Unter dem Dach des Vereins bemühen sie sich jeden Sommer den rund 80.000 Touristen, die die schöne Mecklenburgische Seenplatte besuchen, anspruchsvolle und zugleich typische Kultur zu bieten.

Sie sind stolz auf ihre Heimat, die Mecklenburger. Und dies mit Recht, denn die Gegend hat eine überraschend vielfältige Kulturhistorie. Das erste Lehmmuseum Deutschlands verdeutlicht die Techniken des Lehmbaus, die hier über Jahrhunderte praktiziert wurden. Die Ziegelei Benzin produzierte 90 Jahre lang den für die Region typischen Backstein. Heute dient sie als technisches Denkmal, das die Tradition des Ziegeleihandwerks bewahrt und präsentiert. Der kunterbunte Wangeliner Garten enthält über 900 Pflanzenarten – eine Oase aus Eigengewächsen. Auch an den antiken Kirchen und idyllischen Wanderwegen erfreuen sich Jahr für Jahr die Gäste.

Obwohl diese Sehenswürdigkeiten mit den Traditionen des Landes und ihrer Natur verbunden sind, ist ein überdurchschnittliches ökologisches Interesse keine Voraussetzung für einen Besuch. Jede Attraktion ist interaktiv gestaltet, sodass auch jüngere Gäste auf ihre Kosten kommen. Es sind „lebendige Denkmale“, wie Steinhauser anmerkt. Im Lehmmuseum darf alles angefasst und Lehm selbst geformt werden. In der Ziegelei aktivieren Besucher per Hebelzug das gigantische Triebwerk. Der Wangeliner Garten bietet einen begehbaren „Maulwurfshügel“ und ein enormes Weidenlabyrinth. Ein Spielparadies für Kinder, in dem sich „so manch ein Erwachsener schon verlaufen hat“, wie Wera Bluhm, Leiterin des Gartens, schmunzelnd erzählt.

Auch das Herzstück der Ferienstraße bindet seine Besucher mit ein: In der Filzmanufaktur Ülepüle finden regelmäßig Designschulungen statt. Die Filzerei mit dem ungewöhnlichen Namen – der auf Plattdeutsch die Verwandlung einer Raupe zum Falter bedeutet – war das erste Gebäude der Lehm- und Backsteinstraße. 1997 wurde das 200 Jahre alte Fachwerkhaus gemeinsam mit Freiwilligen aus der Gemeinde rekonstruiert. Es entstand nicht nur ein hübscher Lehmbau, sondern ein Gemeinschaftsgeist, der bis heute das gesamte Projekt prägt.

Der Wiederaufbau der Ülepüle gilt als Beweis, dass der Zusammenhalt in der Region vieles ermöglichen kann. Eine wichtige Erkenntnis nach schweren Jahren, die unübersehbare Narben hinterlassen haben. Nach der Wende gingen 60 Prozent der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft verloren. Es drohte die Abwanderung der Bevölkerung und damit eine lang andauernde Perspektivlosigkeit. 1990 wurde der Verein zur „Förderung ökologisch-ökonomisch angemessener Lebensverhältnisse“ (FAL) gegründet. Der Thinktank bemühte sich durch die Beteiligung der Anwohner, die Lage zu stabilisieren. Aus verschiedenen Aktionen entwickelte sich so über die Jahre das Konzept der Lehm- und Backsteinstraße.

„Anfangs waren nicht alle von der Idee begeistert“, sagt Klaus Hirrich, Mitgründer der FAL. Das Engagement, das ihm sein Projekt abverlangt, ist nicht spurenlos an ihm vorbeigegangen. Er sieht erschöpft aus. Doch plötzlich strahlen seine müden Augen: „Heute gibt es aus fast jeder Familie der Region Beteiligte.“ Auch eine Europäische Bildungsstätte für Lehmbau ist entstanden und lockt Lehmbauinteressierte aus aller Welt an.