Späte Revanche für den „French Doctor“

Bernard Kouchner, 67, Pionier der humanitären Hilfe in Afrikas Kriegsgebieten und Gründer von „Ärzte ohne Grenzen“, ist Frankreichs neuer Außenminister unter dem neuen Präsidenten Sarkozy FOTO: AP

Das Parteibuch war für ihn nie ein Identitätsausweis. Bernhard Kouchner hat immer gern provoziert. Gestern wurde der Sozialist Außenminister Frankreichs unter dem konservativen Präsidenten Sarkozy.

Schon immer hat es Kouchner wenig interessiert, aus welchem politischen Lager heraus sich jemand äußert, solange er etwas sagt, das richtig ist. Er befürwortete 1995 Alain Juppés Rentenreform, die am gewerkschaftlichen Widerstand zerbrach, und später die Öffnung des Kapitals der staatlichen Ex-Monopolbetriebe. Wie Sarkozy ist Kouchner im Namen der großen demokratischen Prinzipien ein Amerika-Freund. Er gehörte mit dem Philosophen André Glucksmann – dem er jetzt als Berater von Sarkozy Gesellschaft leisten kann – zu den wenigen Prominenten Frankreichs, die 2003 gegen den Strom schwammen und den Irakkrieg unterstützten.

Aber es hat ihn nie groß gekümmert, wenn er aneckte. Seit seinem ersten Einsatz als junger Arzt im Biafra-Krieg 1967–1970 hatte der 1939 in Avignon geborene Kouchner die humanitäre Hilfe und die Menschenrechte zu seinem Lebensziel gemacht. Die Politik ist nur ein Mittel zum Zweck. In den 60ern war er bei den Kommunisten, dann bei den Sozialisten, mit Bernard Tapie ging er zu den linken Radikalen und kehrte zu den Sozialisten zurück, wo er aber stets auf Distanz zum Apparat blieb. Mit den von ihm mitgegründeten Ärzten ohne Grenzen (MSF) überwarf er sich, später begründete er maßgeblich das politische Konzept der humanitären Einmischung. Unter Präsident François Mitterrand war er Staatsekretär, 1988–1993 Minister für humanitäre Hilfe. 1999 wurde er sogar UN-Gouverneur im Kosovo. Dass er nach der Rückkehr 2001 vom sozialistischen Premierminister Lionel Jospin „nur“ wieder einen Staatssekretärsposten bekam, hat er als nachhaltige Demütigung empfunden. Seine Verbitterung wuchs noch, als er 2005 für den Posten des UN-Flüchtlingskommissars und 2006 für den Vorsitz der Weltgesundheitsorganisation kandidierte – ohne volle Unterstützung durch Frankreich. Jetzt, wo er Außenminister wird, sprechen Medien von der „Revanche eines Enttäuschten“.

Als Pionier der medizinischen und humanitären Hilfe in der Dritten Welt ist Bernard Kouchner als Inbegriff der „French Doctors“ international sehr bekannt. Das ist in seinem neuen Amt als Chefdiplomat des Staatschefs von Nutzen. Allerdings darf er in seinem oft ungestümen Vorgehen nicht vergessen, dass die Sicherheits- und Außenpolitik die ureigenste Domäne des Staatspräsidenten ist. Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass Sarkozy jetzt auf diese Tradition verzichtet.RUDOLF BALMER

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