BARBARA BOLLWAHN LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Stripperin und Arzt im Unrechtsstaat

Auch im 25. Jahr der Wiedervereinigung wird darüber gestritten, ob die DDR ein Unrechtsstaat war. Nachdem der Bundestagsfraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, und andere Linke die Bezeichnung erneut abgelehnt haben, artete eine Bundestagsdebatte zur Deutschen Einheit in einen Streit aus. Die CDU hatte sich über die Sondierungsgespräche zwischen Grünen, Linken und der SPD in Thüringen empört.

In dem Buch „Die Ostdeutschen – 25 Wege in ein neues Land“ (Ch. Links Verlag) taucht das Wort Unrecht nicht explizit auf. Bis auf den Galeristen Judy Lybke, den Zeit-Journalisten Christoph Dieckmann und den Radiomoderator Jürgen Kuttner gehören die 25 Porträtierten zu den „ganz normalen“ 16 Millionen DDR-Bürgern. Aber auch wenn das Wort Unrecht nicht schwarz auf weiß zu lesen ist, ist es doch Teil vieler Biografien.

Da ist die Betriebswirtin, die einen Großvater im Rheinland hatte und nicht Außenhandelsökonomie studieren durfte und nach einem gescheiterten Fuhrunternehmen nach dem Mauerfall Schuldnerberaterin wurde; die vermutlich erste Stripperin der DDR, die für „erotische Tanzdarbietungen“ gebucht wurde, aber keine Einstufung als Künstlerin bekam und jetzt eine Erotiktanzschule leitet; der Mann, der nicht Arzt werden durfte, weil er an einem 1. Mai sein FDJ-Hemd zerrissen hatte und nach der Wende ein Mittelalter-Wandertheater gründete. Eine ehemalige Kulturfunktionärin, die zu Ostzeiten in den Westen reisen durfte, den Fall der Mauer nicht bejubelte und überzeugte Kommunistin ist, sagt: „Ich wusste, dass das nicht ewig so weitergehen kann mit den alten Männern an der Spitze.“

Und als wäre es für Gregor Gysi, der vom Unrechtsstaat nichts wissen will, geschrieben, sagt der stellvertretende Leiter der Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße in Ostberlin, der am 9. November 1989 den Übergang öffnen ließ: „Wir haben ihnen (der Bevölkerung; d. Red.) die Denkfreiheit geraubt, die Bürgerrechte.“

Die Autorin ist Schriftstellerin