Warten auf Kondom

REFORMSTAU Zwei Wochen lang diskutierten katholische Bischöfe über Ehe, Familie und Sex. Das klare Ergebnis, zu dem die Geistlichen kamen: Alles bleibt, wie es ist – wir reden ein anderes Mal weiter

■ Neu: Nicht öffentlich, nicht demokratisch, aber zum ersten Mal auf Italienisch statt auf Latein debattierten rund 200 Bischöfe und 50 weitere Katholiken auf der Familiensynode.

■ Gründlich: Papst Franziskus hatte die Synode am 5. Oktober 2014 eröffnet. Konkrete Ergebnisse wird es jedoch frühestens nach der nächsten Synode im Oktober 2015 geben. „Man muss Geduld haben, wenn man gemeinsam Dinge ändern und gemeinsam wachsen will“, sagt der Sondersekretär der Synode, Bischof Bruno Forte.

■ Geduldig: In diesem Jahr nicht dabei ist die Reformgruppe „Wir sind Kirche“ aus Deutschland. Auch aus anderen Ländern waren keine Modernisierer eingeladen, sondern auch von den Laiengruppen nur die traditionellen kirchlichen Gruppen.

■ Notwendig: Die Familiensynode erschien dem Papst notwendig, nachdem eine Umfrage der Kirche zu Familie und Sexualität ein distanziertes Verhältnis der Katholiken zur Kirche ergeben hatte. Viele Gläubige können die Haltung der Kirche zu Ehe, Sex und Familie nicht nachvollziehen.

VON SIMONE SCHMOLLACK

Balthasar N. kommt nicht mehr klar. Vor Kurzem wurde er von seiner Frau geschieden, mit 49 Jahren. 15 Jahre war er mit ihr verheiratet, vier gemeinsame Kinder haben die beiden erzogen. Nun lebt die Familie getrennt. Balthasar N. fühlt sich schuldig. Er ist katholisch.

Seinem Empfinden nach hat er katholisches Recht gebrochen. Denn nach den Regeln der katholischen Kirche gilt eine Ehe als unauflösbar. Scheidungen sind verboten, auch wenn das mit der zivilrechtlichen Scheidung von Balthasar N. nichts zu tun hat.

Da muss man etwas tun, findet Papst Franziskus. Die Kirche sollte für die Menschen da sein und nicht umgekehrt. Er ist mit dem Anspruch einer „Kirche für das Volk“ angetreten, und daraus leiten sich grundsätzliche Fragen ab. Warum verwehrt die katholische Kirche den Geschiedenen und Wiederverheirateten die Sakramente? Balthasar N. darf nicht noch einmal katholisch heiraten. Doch auch andere grundsätzliche Fragen bekommen neues Gewicht: Sex vor der Ehe? Sind Pille und Kondome Teufelszeug? Soll man Lesben und Schwule anerkennen? Müssen geschiedene Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen gekündigt werden?

Die Themen treiben die katholische Kirche schon länger um. Sie spalten die Kirche und veranlassen Gläubige in Deutschland zum Kirchenaustritt. Mittlerweile aber sind diese Probleme im Vatikan angekommen und wurden dort in den vergangenen zwei Wochen debattiert. Mehr als 250 Bischöfe, Kirchenexperten und katholische Laien hatte der Papst nach Rom eingeladen, um mit ihnen über die Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre und realem Leben zu verhandeln. Die sogenannte Familiensynode geht am Sonntag zu Ende – mit einem klaren Ergebnis: Es wird sich nichts ändern.

Dabei haben die Gesandten im Haus des Papstes viel gestritten, über Familie und Sex, über katholische Regeln und Freiheiten. Sie haben Thesenpapiere geschrieben und Pressekonferenzen abgehalten. Aber das reicht nicht, lautet die Botschaft aus Rom. Im nächsten Jahr soll auf einer Folgesynode weiterdebattiert werden.

Balthasar N. ist enttäuscht. Wie viele andere Katholiken hatte er gehofft, dass sich die Reformer gegen die Dogmatiker durchsetzen würden. Er hatte darauf gesetzt, dass der Modernisierungswille, den Franziskus seit seinem Amtsantritt bekundet, Früchte trägt. So klang es jedenfalls im Zwischenbericht der Familiensynode an. Und so hatte er den Papst verstanden, als der versprach, Eheannullierungen zu erleichtern. Denn katholische Ehen können zwar nicht geschieden, aber annulliert werden. Damit haben sie nie bestanden.

Aber ein Annullierungsverfahren kann eine jahrelange Prozedur sein. Die früheren Eheleute müssen sich Fragen gefallen lassen. Wie war der Sex mit Ihrer Frau? Wie der mit Ihrem Mann? Wie potent war er? Hatte sie immer Lust, wenn Sie Lust hatten? Ist Ihre Frau psychisch krank? Sind Sie fremdgegangen? Das Expaar muss Beweise vorlegen und Zeugen zusammenrufen. Fragen, die man höchstens mit der besten Freundin, dem besten Freund bespricht, aber auf keinen Fall öffentlich mit einem fremden Menschen. „Das ist kein Spaziergang“, sagt Stephan Burger, Offizial des Erzbischöflichen Offizialats Freiburg.

Das alles solle erleichtert werden, hatte der Papst vor der Familiensynode versprochen. Das stimmte Balthasar N. froh. Der Gedanke, seine Ehe einfach annullieren lassen zu können, beflügelte ihn. Aber nun hört er, wie der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller, ein Hardliner, sagt, dass all diese Modernisierungsideen „unwürdig“ und „schädlich“ seien. „Unauflösliche, glückliche und treue Ehen“ blieben katholische Leitkultur. Die Dogmatiker in der katholischen Kirche sind in der Mehrheit, das wurde in Rom deutlich. Reformbewegungen wie „Wir sind Kirche“, die seit Jahren eine moderne Familien- und Sexualpolitik fordern, kommen gegen sie nicht an.

Balthasar N. fühlt sich unverstanden. Seine Ehe war am Ende nicht mehr glücklich. „Jesus will doch aber, dass die Menschen glücklich sind“, sagt er. Glücklich könne er nach der Scheidung nur sein, wenn er sich nicht mehr schuldig fühlen müsse.

50.000 katholische Ehen wurden laut Radio Vatikan 2012 weltweit annulliert. In Deutschland waren es 756. Häufigster Grund der Annullierung ist die „psychische Unfähigkeit zur Ehe“. Sie zeigt sich aus katholischer Sicht darin, dass jemand häufig fremdgeht und dies auch nach Ermahnungen nicht sein lässt. Etwa ein Viertel aller katholischen Ehen wird aus diesem Grund annulliert.

„Die katholische Ehe ist ein Vertrag auf Dauer“, sagt Gunter Prüller-Jagenteufel, Theologieprofessor an der Universität Wien. „Früher hatte der Vertrag einen klaren fiskalischen Aspekt, der schwächere Teil in der Beziehung war geschützt.“ Als Frauen von ihren Männern finanziell abhängig waren, sei das gerechtfertigt gewesen. Heute aber, in Zeiten ökonomischer Unabhängigkeit der Frauen, sei es nur noch „Tradition“. Eine Tradition, die Dogmatiker heftig verteidigen. Der amerikanische Kurienkardinal Raymond Leo Burke nannte sie „Wahrheiten, die sich nun einmal nicht verändern lassen“.

Die Wahrheit jenseits des Vatikans sieht allerdings nicht so aus, wie der Kirchenstaat sie gern hätte. In Deutschland wird jede dritte Ehe geschieden. Katholische Jugendliche lachen über das Sexverbot vor der Ehe, sie benutzen Kondome und Pille. Paare wollen nicht mehr in jedem Fall heiraten und schließen auch Scheidungen nicht aus.

Vieles sei heute nicht mehr vermittelbar, sagt Prüller-Jagenteufel. Doch die Kirche hält an der Lehre fest, denn sie sieht die Familie bedroht. „Die Familie wird nur als Ort betrachtet, an dem es um die Selbstverwirklichung geht“, beklagt der italienische Erzbischof Vincenzo Paglia.

„Die Kirche steckt in einem Dilemma“, sagt Prüller-Jagenteufel. Das veranschaulicht er seinen Studierenden gern mit einem Gedankenspiel: Ein katholisches Paar hat vier Kinder, alle kamen mit Kaiserschnitt auf die Welt. Eine weitere Schwangerschaft würde die Frau umbringen. Was tun? Soll man dem Paar raten, keinen Sex mehr zu haben? Das würde die eheliche Verpflichtung zum Beischlaf unterwandern. Verhütung? Pille, Kondom und Diaphragma sind verboten. Natürliche Empfängnisverhütung ist erlaubt, aber unsicher. Was, wenn die Frau wieder schwanger wird? „An dieser Stelle herrscht im Hörsaal immer große Rat- und Sprachlosigkeit“, sagt Prüller-Jagenteufel.

Reformen hin oder her, auch die Annullierung bleibt absurd: Wenn Balthasar N. irgendwann die Annullierungsurkunde in Händen hält, streicht er damit einen wichtigen Teil seines Lebens. Seine Ehe wird für null und nichtig erklärt, als habe er seine Frau nie kennengelernt und nie mit ihr gelebt. Aus der Beziehung gibt es aber Kinder, die ganz real auf der Welt sind. Die kann und will Balthasar N. nicht annullieren lassen. Prüller-Jagenteufel konstatiert hier eine katholische „Inkohärenz“. Denn: „Die Kinder gelten nach wie vor als ehelich.“