Eine Frage der Ehre?

In Polen spaltet ein Gesetz, das Journalisten die Offenbarung möglicher Geheimdienstkontakte während des Sozialismus vorschreibt, die Medien

AUS WARSCHAU PAUL FLÜCKIGER

Das sogenannte Lustrationsgesetz gilt zwar erst seit gestern. Trotzdem hat die Initiative der Regierung Kaczyński die polnischen Medien bereits gespalten. Das Gesetz schreibt Journalisten vor, eine Erklärung über mögliche Geheimdienstkontakte während des sozialistischen Regimes abzugeben. Über hundert Journalisten und Publizisten haben sich soeben hinter das Gesetz gestellt. „Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit sind die Basis unsere Berufsstands“, schreibt eine breite Allianz von Mitarbeitern verschiedenster Medien von der konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita über das Springer-Blatt Fakt bis hin zum Staatsfernsehen TVP: Wer gegen die Überprüfung sei, erwecke beim Volk den Eindruck, Polens Journalisten wollten sich ihrer Rolle vor 1989 nicht stellen.

Erst letzte Woche hatten namhafte Journalisten wie die Exdissidentin Ewa Milewicz, heute Redakteurin bei der linksliberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, noch zu einem Boykott der Überprüfung aufgerufen. Publizist Wojciech Mazowicki vom Wochenmagazin Przekroj: „Unter Androhung des Arbeitsplatzverlustes zu erklären, dass man in der Volksrepublik Polen kein Schwein gewesen sei, kommt der Loyalitätserklärung der Inlandsgeheimdienstler während des Kriegsrechts gleich.“

Schätzungen zufolge waren zu sozialistischen Zeiten zwei bis drei Prozent aller polnischen Bürger als informelle Mitarbeiter verschiedener Geheimdienste, darunter vor allen des gefürchteten Inlandsgeheimdienstes (SB), tätig. Viele wurden durch Erpressung zu diesen Diensten gezwungen; andere haben sich bei genauem Aktenstudium als Karteileichen erwiesen. Bisher mussten einzig Parlamentarier und höhere Regierungsbeamte eine Erklärung über ihre Geheimdienstkontakte abgeben. Nun müssen laut verschiedenen Schätzungen von 400.000 bis zu 2 Millionen Personen beim Institut des Nationalen Gedenkens (IPN), einer Art polnischen Birthler-Behörde, einen Aktenauszug beantragen. Darunter fallen neben Journalisten und Verlegern jetzt auch Justizbeamte, Anwälte und Notare sowie Verwaltungsräte und Manager staatlicher und strategisch wichtiger Betriebe.

Verleger sind nun angewiesen, innerhalb Monatsfrist an alle Angestellten ein sogenanntes Lustrationsformular zu verteilen. Auf diesem müssen alle vor 1972 geborenen Journalisten angeben, ob sie vor der Wende mit den kommunistischen Geheimdiensten zusammengearbeitet haben. Kirchenleute, wie den im Januar wegen Stasikontakten zurückgetretenen Warschauer Erzbischof Wielgus, betrifft das Gesetz nicht.

Mit dem Lustrationsgesetz hat die Regierung Kaczyński ein weiteres Wahlversprechen eingelöst. Allerdings scheint sich niemand so recht Gedanken um die technischen Aspekte einer solchen Aktion 17 Jahre nach der Wende gemacht zu haben. Der polnische Geheimdienstexperte Antoni Dudek vom IPN schätzt, dass 85 bis 90 Prozent aller Geheimdienstakten aus der Zeit vor 1989 vernichtet wurden oder verloren gegangen sind.

Eine Definition, wer genau als Journalist zu betrachten ist, fehlt in dem Gesetzestext, der zuvor immerhin wochenlang von beiden Parlamentskammern geprüft und angeblich verbessert worden war. Selbst unter den in Polen akkreditierten Auslandskorrespondenten gibt es inzwischen Zweifel, ob es nicht besser wäre, den Fragebogen vorsorglich auszufüllen. Unklar ist auch, was mit jenen Journalisten geschieht, die keine Erklärung einreichen oder falsche Angaben machen. Man zähle hier auf den öffentlichen Druck auf die Verleger, erklärte IPN-Chef Janusz Kurtyka vergangene Woche.