„Wir brauchen diesen Posten nicht“

Wolfgang Thierse, der erste ostdeutsche Vizechef der SPD, sieht es gelassen, dass Kurt Beck sein früheres Amt abgeschafft hat: „Die ostdeutsche SPD ist heute selbstbewusst genug, dass es dieses Postens nicht mehr bedarf“, sagt der Vizepräsident des Bundestages

WOLFGANG THIERSE, 63, war von 1977 bis 1990 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften der DDR und von 1990 bis 2005 Vizevorsitzender der SPD.

taz: Herr Thierse, der SPD-Vorsitzende wird künftig keinen ostdeutschen Stellvertreter mehr haben. Verabschiedet sich die Ost-SPD in die Bedeutungslosigkeit?

Wolfgang Thierse: Was für ein Unsinn! Das hängt doch nicht an einer Person. Es ist richtig von Kurt Beck, die SPD-Führung durch die Konzentration auf drei Stellvertreter zu stärken. Über die Jahre wurden immer mehr Vizeposten eingerichtet, und deren Bedeutung sank proportional zu ihrer Anzahl.

Das klingt seltsam gelassen aus dem Munde des ersten ostdeutschen SPD-Vizes.

Als 1990 dieser Posten für mich geschaffen wurde, geschah das in einer historisch einmaligen Situation. Die haben wir fast 20 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht mehr. Damals musste man auch symbolpolitisch den Willen zur Integration der ostdeutschen SPD zeigen. Die ist heute aber selbstbewusst genug, dass es dieses Postens nicht mehr bedarf.

Eine andere Erklärung wäre, dass die Ost-SPD nach dem Rückzug von Kurzzeitparteichef Matthias Platzeck kaum noch Bedeutung für die Gesamtpartei hat.

Das ist keine Erklärung, sondern ein Märchen. Von den sieben Landesregierungen mit SPD-Beteiligung sitzen fünf in den neuen Ländern. Bei den Bundestagswahlen 1998, 2002 und 2005 hatte die SPD ihre Erfolge zu großen Teilen Ostdeutschland zu verdanken. Die Gesamtpartei weiß genau, was sie an uns hat.

Wissen das auch SPD-Landespolitiker aus dem Westen wie der Hamburger Spitzenkandidat Michael Naumann oder die NRW-Landesvorsitzende Hannelore Kraft, die regelmäßig den Solidarpakt in Frage stellen?

Manche Genossen sollten sich öfter mal an die Fakten erinnern, statt mit wohlfeilem Populismus nach Wählern zu fischen. Derartige Diskussionen erregen die Gemüter in der ostdeutschen SPD mit Sicherheit mehr als die Debatte um einen Parteivizeposten.

Der SPD ist also Ihrer Ansicht nach noch klar, dass es im Osten besondere soziale und wirtschaftliche Probleme gibt?

Natürlich, Kurt Beck hat auch gesagt, dass er diese Themen im Bewusstsein der SPD noch stärker verankern will. Und das ist, was im Endeffekt zählt.

Ostdeutschland soll also ein sogenanntes Querschnittsthema werden, um dass sich alle kümmern sollen, für das sich aber eigentlich niemand verantwortlich fühlt?

Nein. Niemand hat das Wort Querschnittsthema in den Mund genommen. Einerseits wird das Forum Ostdeutschland innerhalb der SPD gestärkt werden. Und andererseits sollte die ostdeutsche SPD durch entsprechende Personen im Präsidium vertreten sein.

Wer sollte dort künftig sitzen?

Natürlich Jens Bullerjahn aus Sachsen-Anhalt, der thüringische Landeschef Christoph Matschie, und eine Frau müsste auch dabei sein.

Schnappt Ihnen die PDS im Osten jetzt nicht noch mehr Wähler weg?

Dass wir mit der PDS zu kämpfen haben, würde sich selbst dann nicht ändern, wenn ein SPD-Kanzler aus Ostdeutschland käme. Aber wir sind auch für diese Auseinandersetzung mit einer so profilierten Sozialpolitikerin wie Andrea Nahles jetzt besser aufgestellt.

INTERVIEW: DANIEL SCHULZ