Heftige Kämpfe in Bengasi

LIBYEN Die Gegner der islamistischen Milizen machen mobil und bilden bewaffnete Nachbarschafts-gruppen. Einwohner umkämpfter Stadtviertel bringen sich bei Verwandten in Sicherheit

VON MIRCO KEILBERTH

TUNIS taz | Genau drei Jahre nach dem Tod des Diktators Muammar al-Gaddafi fordern die schweren Kämpfe zwischen der Armee und islamistischen Milizen in Bengasi im Osten des Landes immer mehr Opfer. Ganze Außenbezirke von Libyens zweitgrößter Stadt sind verwaist oder von Artillerie und Raketenbeschuss verwüstet; die Bewohner bringen sich bei Verwandten in anderen Vierteln oder nahe gelegenen Orten in Sicherheit.

Surreal wirkten da Hochzeitsfeiern auf dem Freiheitsplatz, nach deren Ende die Männer in ihre Bezirke zurückkehrten und den Kampf gegen die islamistischen Milizen wieder aufnahmen. Mit Flugblättern hatte der pensionierte General Khalifa Hafter die Bevölkerung vergangene Woche vor dem Einmarsch seiner Karama-Allianz in die Stadt gewarnt. Nun haben seine Panzer die Innenstadt erreicht.

Noch im Sommer hatte Hafter, der Anführer der Gegner der Islamisten, und die mit ihm verbündete Saiqa-Spezialeinheit mehrere Kasernen den gut bewaffneten Extremisten von Ansar al-Sharia, Raf Allah Shati und der Brigade des 17. Februar überlassen müssen. Nur unter Mithilfe der ägyptischen Armee gelang es den Soldaten zuletzt, ihre letzte Bastion am Stadtrand, den Flughafen Benina, trotz mehrerer mit Lastwagen ausgeführter Selbstmordattentate zu halten. Der Anführer von Ansar al-Sharia, Mohammed al-Sawahi, hatte bereits angekündigt, nach der vollständigen Übernahme Bengasis die Scharia ausrufen zu lassen und das neue Parlament in Tobruk anzugreifen.

Anfang September wendete sich das Blatt jedoch gegen die ehemaligen Revolutionäre, als der der junge Aktivist Tafwik Bensaud bei einem der vielen Attentate auf Vertreter der Zivilgesellschaft starb und Angehörige von Ansar al-Sharia nach dem Mord an einem Soldaten als Drahtzieher zahlreicher Gewalttaten identifiziert wurden. Nun haben sich ganze Stadteile auf die Seite der Sicherheitskräfte gestellt und zeitgleich mit dem Einmarsch von Hafter bewaffnete Nachbarschaftsgruppen aufgestellt.

In den Stadtteilen Laithi, Budheima und al-Hijaz waren die Supermarktregale so leer wie die Straßen, auf denen Tausende leere Patronenhülsen von der Intensität der Kämpfe zeugen. Während sich in Budheima und im Stadtzentrum junge Männer spontan der Armee anschlossen, sollten im ärmeren Stadtrandgegenden wie Laithi brennende Straßensperren den Vormarsch der Panzer stoppen. Auf rund 50.000 Anhänger schätzen politische Beobachter die Anhängerschaft des sogenannten Shura-Rates, einer losen ideologischen Verbindung der islamistischen Milizen. Auch am Montag flogen Kampfjets Angriffe auf die Kasernen von Ansar al-Sharia, in denen eine unbekannte Zahl von Extremisten aus den Nachbarländern vermutet werden.

Die vom neuen Parlament in Tobruk gut geheißene Offensive mit Ägyptens Hilfe polarisiert die politische Szene Libyens bis an den Rand eines Bürgerkriegs. Am Montag wollte das oberste Gericht über die Rechtmäßigkeit des Repräsentantenhauses entscheiden. Bei den Wahlen des Übergangsparlaments im Juli waren mehrheitlich moderate Abgeordnete gewählt worden, die sich aus Sicherheitsgründen weigerten, die Vereidigungszeremonie in Tripolis abzuhalten.