Frachter schlingert vor Kanadas Westküste

OZEAN Die Beinahe-Havarie des russischen Containerschiffs „Simuschir“ zeigt, wie wenig das Land auf den drastischen Anstieg des Öltanker-Verkehrs an der Pazifikküste vorbereitet ist. Wütende Indianer

„Es war reines Glück, dass es nicht zur Katastrophe kam“

HAIDA-PRÄSIDENT PETER LANTIN

VANCOUVER taz | Am Ende ging die Sache nochmal gut aus. Tagelang war der russische Frachter „Simuschir“ mit Hunderten Tonnen Öl und Treibstoffen an Bord führerlos vor der kanadischen Pazifikküste getrieben. Bis auf wenige Kilometer war er an die zerklüftete Küste gelangt, wo er beinahe zerschellt wäre – mit schlimmen Folgen für die Umwelt und die Lebensgrundlagen der ansässigen Haida-Indianer.

Dann gelang es einem amerikanischen Schlepper am Montag (Ortszeit) doch noch, den Ölfrachter zu sichern, ihn durch die sturmgepeitschte See zu manövrieren und in den kanadischen Hafen Prince Rupert zu ziehen. Dort wollen Techniker nun versuchen, den Motorschaden zu beheben, der die ganze Region fast in die Katastrophe gestürzt hätte.

Die Bewohner der Pazifikküste sind erleichtert, dass der Spuk vorbei ist. Gleichzeitig sind sie in großer Sorge, denn in den nächsten Jahren soll der Öltanker-Verkehr in der Region angesichts neuer geplanter Erdölleitungen und Verladeterminals drastisch zunehmen. Die Beinahe-Havarie hat ihnen noch einmal vor Augen geführt, wie gefährlich die Gewässer sind und wie schlecht vorbereitet die Katastrophenschützer waren.

„Es war reines Glück“, meinte Haida-Präsident Peter Lantin im kanadischen Fernsehen. „Wäre der Frachter auseinandergebrochen, wären wir hier völlig hilflos gewesen.“ Die Haida besiedeln die Region seit über 10.000 Jahren und genießen in Kanada eine weitgehende Autonomie. Ihre etwa 2.500 Stammesangehörigen auf dem Haida-Gwaii-Archipel wären am schlimmsten von einer Ölpest betroffen gewesen.

Tatsächlich hatte es nach dem Ausfall der Motoren auf der „Simuschir“ am Freitag über 20 Stunden gedauert, bis der erste Schlepper der kanadischen Küstenwache eingetroffen war. Nur unter Schwierigkeiten und nach mehrmaligem Reißen der Leinen war es diesem gelungen, den Frachter von der Küste wegzuziehen. Am Ende musste ein US-Schiff den Kanadiern zur Hilfe eilen, um die „Simuschir“ zu sichern. Das benötigte zwei Tage, um zum Ort des Geschehens zu gelangen.

„Wir wissen, dass unsere Rettungskapazitäten derzeit nicht ausreichen“, räumte die Umweltministerin der kanadischen Provinz British Columbia, Mary Polak, offen ein. Nach dem Vorfall werde es „eine Menge zu diskutieren geben“. Katastrophenschutzexperten sprachen in den kanadischen Medien von „ernüchternden Zuständen“.

Tatsächlich hat die Regierung in Ottawa die Budgets der Küstenwache und der Fischereiaufsicht in den letzten Jahren drastisch gekürzt. Überall im Land wurden Angestellte entlassen und Stützpunkte geschlossen – und ein Ende ist nicht in Sicht. Kritiker halten das für unverantwortlich, zumal die Regierung gleichzeitig den Bau umstrittener Erdölleitungen vorantreibt, die Schweröl von den Ölsandfeldern im Landesinneren an den Pazifik transportieren sollen. Der Terminal für die Tanker liegt am Ende eines 140 Kilometer engen Meeresarms mit zahlreichen Untiefen. Die Neubauprojekte würden dazu führen, dass pro Jahr zusätzlich 600 Öltanker durch die fraglichen Gewässer kreuzen. JÖRG MICHEL