OFF-KINO

Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

Was gibt es in der Schweiz?, fragte sich einst Alfred Hitchcock aus Anlass einer Konversation mit François Truffaut über den ebendort spielenden Thriller „The Secret Agent“ und gab auch gleich selbst die Antwort: „Milchschokolade, die Alpen, Volkstänze und Seen.“ Damit habe er den Film „gefüttert“. An diese Bemerkung über landestypische Klischees mag Truffaut gedacht haben, als er die auf Mördersuche befindliche französische Sekretärin Barbara Becker (Fanny Ardant) in „Auf Liebe und Tod“ (1982) zu einem massiven Modell des Eiffelturms greifen ließ, um selbige einem verdächtigen Subjekt über den Schädel zu schlagen. Orientiert sich „Auf Liebe und Tod“ ästhetisch am Film noir, so erweisen sich Drehbuch und Inszenierung als vergnügliche Hommage an die britische Phase des Idols Hitchcock. Da gibt es: einen unschuldig Verfolgten (Jean-Louis Trintignant) und seine Katz-und-Maus-Beziehung zu Barbara, witzige Dialoge, falsche Fährten und rasante Schauplatzwechsel (OmU, 29. 10., Lichtblick).

Den vielleicht besten Auftritt eines Schurken überhaupt hat Orson Welles als skrupelloser Penicillinschieber Harry Lime in dem Thriller „The Third Man“, den Carol Reed 1949 mit Sinn für exzellentes Zeit- und Lokalkolorit an Originalschauplätzen im besetzten Wien drehte. Denn während der leicht begriffsstutzige amerikanische Groschenromanautor Holly Martins (Joseph Cotten) den vermeintlichen Unfalltod seines Freundes Harry aufzuklären versucht (auch seine unbeholfenen Bemühungen sind in ihrer temporeichen Aberwitzigkeit eine Hommage an den britischen Hitchcock), muss er feststellen, dass jener noch lebt: In einem dunklen Hauseingang sieht man zunächst nur Limes Beine, um die der Kater („He only likes Harry“) seiner Geliebten Anna streicht. Dann fällt Licht aus einem gegenüberliegenden Fenster auf sein Gesicht, und einen kurzen Moment lang offenbart sich der tot geglaubte Harry mit dem wohl spitzbübischsten Lächeln der Filmgeschichte den Blicken des überraschten Freundes. Zudem ist Harry Lime natürlich auf der Tonspur des Films ständig präsent: im Leitmotiv von Anton Karas’ berühmter Zithermusik (OF, 28. 10., Arsenal).

In Augusto Geninas „Prix de beauté“ (1930) prallen überkommene Geschlechterrollen auf ein neues weibliches Selbstbewusstsein: Während sich eine Sekretärin (Louise Brooks) nach dem Gewinn eines Schönheitswettbewerbs plötzlich in der Gesellschaft von Filmproduzenten und Maharadschas wiederfindet, erwartet ihr Mann immer noch, dass sie zu Hause unter der Kuckucksuhr seine Hemden bügelt. Eunice Martin begleitet den ursprünglich stumm gedrehten und später nachvertonten Film am Klavier (26. 10., Arsenal).