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Warmmachen? Weiberkram!

Partisanen sind nicht resozia- lisierbar vom Balltritt an sich „Von der Querlatte ist kein Entgegenkommen zu erwarten“

VON BERND MÜLLENDER

Wir dachten, wir hätten das Spiel neu erfunden, wären unmittelbar zur Avantgarde des Fußballs geworden. Und vielleicht waren wir das damals auch ein bisschen. Anfang der 80er Jahre hatten wir erkannt, wie bieder und spießig der Vereinsfußball ist mit seinen Trainerautoritäten und Weihnachtsfeiern, mit seinen Kampfeslosungen („Alles geben“) und Ernährungstipps („Gras fressen“). Es war die Zeit, als Grüne in der Politik aufbegehrten, Friedenshetzer und Bürgerinitiativen. Da musste auch im Fußball was passieren.

Also gründeten wir eigene Mannschaften, autonom und frei vom DFB. Und weil wir ganz schnell ganz viele waren, kamen eigene bunte und alternative Ligen gleich dazu. Die Teams hatten sich edle Namen gegeben wie Fortuna Unglück aus Herne oder Grand Hotel Abseits aus Köln, Ajax Aufruhr aus Bielefeld, Gib mich die Kirsche aus Krefeld oder schlicht Deutschland („Damit ich meinen Enkeln einmal erzählen kann, ich habe 300 Mal für Deutschland gespielt“). Partisan Eifelstraße aus Aachen und Dynamo Windrad aus Kassel wurden zu Legenden dieser Gattung. Wie die Kasseler Dynamos feiern die Partisanen jetzt ihren 25. Geburtstag.

Im Frühjahr 1982 versammelten sich in der Wohn-Hausgemeinschaft Eifelstraße 3 in Aachen junge Männer, „um fußballerisch aus den Verhältnissen auszubrechen“. Partisan was born. Das erste Spiel gegen Roter Stern Sowiso endete 1:8. Bald wurden die Partisanen zu Weltmeistern von Ironie und Persiflage. Ein eigenes Sammelalbum mit Klebebildchen erschien („Thomas Hardebusch, 27 Jahre, sein Gegner braucht vier Lungen oder nachher einen Platz unterm Sauerstoffzelt“), später eine eigene CD („Die 3. Halbzeit verliern wir nie“). Die Rückennummern pendelten zwischen politisch und albern (durchgestrichene 218, K14, 17&4, 5vor12). Als die Alemannia mal wieder schwächelte, bewarb sich „Inteamchef“ Achim Blickhäuser mit seinem Abiturzeugnis als neuer Trainer. Wichtigste Referenz: „Sportnote gut, das sollte genügen.“ Alemannia nahm einen anderen – und stieg bald ab.

Aachen hat seit Jahren die größte Bunte Liga bundesweit mit derzeit 66 Teams. Bunteligafußball heißt: beliebiges Ein- und Auswechseln – somit kein Ausschluss vom Spiel(be-)trieb wie beim DFB –, gelegentlich gemischtgeschlechtliche Elfen, statt Schiedsrichter gemeinsame Klärung strittiger Szenen (klappt meist), verkürzte Spielzeit bei zu großer Hitze, manchmal Grüne Karte für Ökofouls (zu heftiger Tritt in den Rasen). Trainer gibt es nicht, weil es kein Training gibt. Falscher Einwurf ist immer richtig (einrollen erlaubt), und der Anstoß geht prinzipiell zum Gegner, der kickt selbstverständlich zurück. Die Fairnessformel heißt: gewinnen ja, aber nicht um jeden Preis.

Schon bald nach Gründung wechselten in Aachen die ersten Vereinsspieler in die Bunte Liga, weil sie die Lockerheit genossen. Man erkannte die Überläufer schnell: Fühlten sie sich gefoult, riefen sie im Reflex „Schiri“ nach dem Schiedsrichter, den es gar nicht gab. Und spielten sie unabsichtlich den Ball mit der Hand, gaben sie das einfach nicht zu. Unsere Diagnose: „schwer resozialisierbar vom Vereinsfußball“.

Heute haben wir Partisanen selbst ein ähnliches Problem: Wir sind nicht resozialisierbar vom Balltritt an sich. Fast ein Dutzend Spieler aus den Gründertagen ist noch heute aktiv, schwer ergraut manche, betagter und stabiler geworden, alle um die 50. Wir machen weiter, als befänden wir uns im Hamsterrad einer Langzeituntersuchung „Überleben alter Männer auf dem Platz“. Jeden Freitagabend geht‘s aufn Platz.

In Partisans Selbstdarstellung von 1992 stand zu lesen: „Sie ignorieren die Biologie (Altern als theoretische Erscheinung) und halten sich an keine Sportmedizin (selbst im Rollstuhl könnte über links geflankt werden)“. Das war ironisch gemeint. 15 Jahre später muss man feststellen: Es ist wirklich so. Schlüge jemanden das Schicksal in einen Rollstuhl, der Arme würde sicher nur einen robusten Pfleger mit Marathon- und Kraftsporterfahrung akzeptieren, der ihn sausewindig über den Platz schieben würde.

Immer setzen wir grob fahrlässig unsere Gesundheit aufs Spiel. Warmmachen? Weiberkram! Der alternative Körper ist doch immun gegen Schleimbeutelzerrung und Knorpelentzündung. Auffällig: Mit zunehmendem Alter sind Muskelverletzungen seltener geworden. Die einen sagen, das habe mit wachsender Vorsicht zu tun. Die anderen wissen: Wo nicht mehr viel ist, hat das Zipperlein keine Chance mehr.

Immer weitermachen, weiter weiter weiter, als wären wir, welch scheußlicher Vergleich, Oli Kahn. Manche verpassen die Chance auf den Absprung jämmerlich. Gerade wieder im Aufbautraining ist der frische Endvierziger Michael nach einem Doppelpass von zwei Bandscheibenvorfällen innerhalb eines Monats. Der Mann ist bei der Aachener Kripo und stellte seinen ersten Einsatz über 15 Minuten auf dem Biertisch nach wie die Ringfahndung nach Geiselnahme: „... und gleich ein Tor vorbereitet. Ich den Ball lang in die Tiefe, der Verteidiger hier, da der Querpass, zack, drin.“ Oder Achim, der Inteamchef. Er ist kürzlich nach sechs Jahren Absenz wieder neu eingestiegen, mit zarten 51. Begründung: „Jetzt hat das Leben wieder einen Sinn.“

Man kann solche knochenbrecherische Idiotie Ü 50 metaphysisch begründen. „Es ist der Fußball, der uns denkt“, hat Jürgen Nendza mal gesagt, der früher mittelstürmende Doktor der Philosophie vom Aachener Ligakonkurrenten Juventus Senile. Ist Fußball unheilbar? Fachmann Nendza, 49, hat schon vor 20 Jahren nach eigener vergebener Torchance erkannt: „Von der Querlatte ist kein Entgegenkommen zu erwarten.“ Und von sich selbst keine Vernunft, wenn es um Fußball geht.

Sicher, auch bei uns Partisanen lassen einzelne nicht mehr den Ball in sich denken. Stefan, 46, hörte jetzt auf, weil er sich nach den Freitagsspielen „nicht mehr die Ganzkörperlähmung am ganzen Wochenende antun will“. Oder Georg, der Stopper, der laut Mannschaftsselbstdarstellung „immer eine Abkürzung kannte zum Laufweg des Gegenspielers, selbst bei gerader Linie“. Oder Paul, von Beruf Orthopäde, der „nicht nur im Mittelfeld die Fäden zieht“. Der hörte ausgerechnet in der Weisheit spendenden Stadt Kassel auf. Bei der Bolz-WM, dem traditionellen Turnier der Dynamos, kam er nach langem Seniorensprint wieder einmal etwas zu spät zum Ball, mit dem ein halbes Kind von vielleicht 35 längst ganz woanders war. Sein wunderbar authentischer Fluch: „Das ist eine Scheiße mit dem Altwerden.“

Gegen zu viel Frust mit Jüngeren ist in Aachens Bunter Liga die Seniorenrunde erfunden worden. Immer müssen 385 Jahre auf dem Platz stehen. Bei unserer Ballung von Supersenioren gibt das auch die Chance, unsere Söhne oder die Partner unserer Töchter mittun zu lassen.

Unser Torjäger Uli, 48, hat jetzt 498 Treffer. Im Moment seines 500. Tores will er augenblicklich aus der frühgeriatrischen Versuchsreihe aussteigen, für immer. „Ich bin vorbereitet“, sagt er, „und ich freue mich. Dann brauche ich nur noch laufen und Rad fahren.“ Seit der Ankündigung hat er einen Vollstreckerkomplex. Dieter Becker, 52, Partisans Rekordspieler, hat genau 900 Spiele. Unverdrossen sagt er: „Es sind noch keine tausend. Und bis 55 wird es schon noch gehen.“ Becker ist Statistikfex. Er führt Buch über jedes Partisan-Ergebnis, ein Mammutwerk an Zahlen. Alle Spiele, Torschützen, Aufstellungen der Jubiläumsspiele, Bilanz gegen die 50 häufigsten Gegner, längste Einsatzserien ohne Punktverlust/ohne Niederlage pro Spieler und vieles mehr. Beckers Jubiläumsspiel neulich endete mit dem für uns Offensive liebende Alternativfußballer beschämenden Unergebnis von 0:0, dem erst vierten torlosen Partisanenmatch in 1.096 Spielen (633 Siege, 177 Unentschieden, 286 Niederlagen bei 4.172 zu 2.601 Toren). All das zu wissen, ist wichtig für einen Fußballmann.

Wir träumen alle von der Eleganz eines letzten großen Fallrückziehers mit unfallfreier Landung. Im besten Fall würde sogar der Ball getroffen. Kameras begleiten unser Gestolpere zum Glück nicht. Bei der Analyse am Tresen geht gern manch ein krachender Schuss nur unglücklich knapp daneben. Und zwar der Ball neben das Tor, nicht wie manchmal in der gnadenlosen Wirklichkeit der ungelenke Fuß am Ball. Live zu erleben ist soviel routinierte Fußballkunst zu Pfingsten, wenn die Avantgarde des Balltritts zum 21. Mal ihre DAM spielt, die Deutsche Alternative Meisterschaft, dieses Mal auf den Poller Wiesen in Köln. 28 Teams sind dabei, die Legenden Dynamo und Partisan (Meister 1991) natürlich auch. Wie Dynamo Windrad ist auch Partisan Eifelstraße beim Turnier klarer Mitfavorit auf einen Mittelfeldplatz.

Näheres zur deutschen Meisterschaft: www.dam-2007.de

Der Autor, 50, stolpert seit 1988 (mit Pausen) bei Partisan: 174 Spiele, 57 Tore, 411 vergebene Chancen, 902 verlorene Zweikämpfe, 1.499 Fehlpässe.

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