„Alte Möhren abschalten!“

Von regionalen Klimaschutzzielen hält NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben nichts. Und doch will die CDU-Politikerin die CO2-Emissionen im Land drücken – durch intelligente Kohlekraftwerke

INTERVIEW KLAUS JANSEN
UND MORITZ SCHRÖDER

taz: Frau Thoben, haben Sie einmal ausgerechnet, wie viele Energiesparlampen man braucht, um den CO 2 -Ausstoß des neuen Braunkohlekraftwerks in Neurath auszugleichen?

Christa Thoben: Nein. Aber ich weiß, dass Sie einen großen Sportwagen 48 Stunden lang mit Vollgas fahren können und dann genauso viel emittieren wie eine Kuh.

Es sind 104 Millionen Lampen. Wie viel Sinn macht Ihr aktuelles Energiesparprogramm angesichts der geplanten neuen Kohlekraftwerke in NRW?

Darum geht es doch gar nicht. Ich muss wissen, was ich mit einem modernen, hocheffizienten Kraftwerk erreichen kann – oder ob ich die gleiche Menge Strom auf andere Weise erzeugen kann. Natürlich muss die Gesellschaft zusätzlich sparsam mit unserer Energie umgehen.

Die Opposition wirft Ihnen vor, beim Energiesparen keine klaren Zielmarken vorzugeben.

Die Opposition stürzt sich immer nur auf unsere Energieeffizienzoffensive, dabei ist sie nur einer von vielen Bausteinen, die wir für den Klimaschutz leisten. Ich akzeptiere, dass unsere Ziele da noch klarer sein könnten. Aber wir sind gerade dabei, mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie an einer weiteren Konkretisierung zu arbeiten. Ich denke, dass wir bis Herbst damit fertig sind.

Warum lassen Sie sich in NRW beim CO 2 -Ausstoß nicht auf konkrete Reduktionsziele festlegen – so wie der Bund und die EU?

Ich halte es für ziemlich verrückt, für jede Region einen einzelnen Plan aufzustellen. Es bringt doch nichts, sich nur den Kreis Neuss oder die Stadt Düsseldorf anzusehen. Die haben mit Klimawandel fast nichts zu tun. Wenn sich zum Beispiel Hamburg mit einer wunderschönen CO2-Bilanz schmückt, dann liegt das doch nur daran, dass sie ihre Kraftwerke in Niedersachsen bauen. Je kleinräumiger solche Bilanzen sind, desto unsinniger sind sie. Energiepolitik muss mindestens eine nationale Aufgabe sein, wenn nicht eine internationale.

Sie haben in der EU dafür gekämpft, dass der NRW-Rohstoff Braunkohle privilegiert bleibt. Ist das nicht rückwärtsgewandt?

Es gab eine Debatte darum, ob alle Primärenergieträger an den gleichen Emissionskriterien gemessen werden. So etwas ist fachlicher Unsinn. Wenn ich einen Prozess der CO2-Reduktion beschleunigen will, muss ich jeden einzelnen Energieträger getrennt betrachten – sonst verschiebt sich in der Gesamtrechnung alles zur Kernenergie oder zum Gas. Diese Abhängigkeit will doch auch kein Mensch.

Es ging Ihnen also nicht um NRW-Standortpolitik?

Nein. Wenn ich die Braunkohle als heimischen Energieträger akzeptiere, muss ich dafür sorgen, dass sie weiterhin möglichst effizient genutzt werden kann.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel will den CO 2 -Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent reduzieren. Ist das auch ein Ziel für NRW?

An 40 Prozent glaube ich nicht.

Wie kann denn das Braunkohleland NRW überhaupt Klimaziele erreichen?

Wir müssen darauf drängen, dass alle neuen Kraftwerke einen deutlich günstigeren Wirkungsgrad haben als die alten. In den kommenden Jahren werden in NRW bis zu 16 Kohlekraftwerke neu gebaut oder erweitert. Wenn die fertig sind, sinkt unser CO2-Ausstoß um 16 Millionen Tonnen.

Aber nur, wenn Sie alte Kraftwerke mit der gleichen Kapazität ausschalten.

Selbstverständlich.

Sie schließen aus, dass beim Ausstoß draufgesattelt wird?

Ja.

Trotzdem verdienen die Stromkonzerne am Betrieb alter, schon abbezahlter Kraftwerke derzeit hervorragend.

Da hat die Politik ein Stück gepennt. Leider muss erst seit dem Jahr 2004 für einen Neubau ein anderes Kraftwerk mit vergleichbarer Leistung ausgeschaltet werden. Vorher haben die Betreiber ihre alten Möhrchen immer dann angeworfen, wenn die Nachfrage besonders hoch war – und wenn wir die Konzerne zum Abschalten aufgefordert haben, mussten wir uns anhören, dass wir durch Verknappung die Preise hochtreiben.

Inzwischen denken selbst die Stromkonzerne über ihre Klimasünden nach. Sie wollen versuchen, das CO 2 bei der Kohleverstromung abzutrennen und unterirdisch zu speichern. Halten Sie das für realisierbar?

Ich bin da skeptisch. Beim CO2 würde dieselbe Endlager-Problematik entstehen wie bei der Kernenergie. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob wir in NRW ausreichende Möglichkeiten haben, das Kohlendioxid in der Erde zu lagern. Einige Experten behaupten, das würde besser in Niedersachsen gehen. Das würde aber bedeuten, dass das Gas über hunderte Kilometer transportiert werden müsste. Und wenn ich mir ansehe, wie sehr die Bevölkerung im Rheinland schon gegen eine einfache Kohlenmonoxidpipeline protestiert, sehe ich einiges auf uns zu kommen. Da aber ein weltweiter Zuwachs von Kohlekraftwerken absehbar ist, müssen wir alle technisch machbaren Wege zur CO2-Reduktion beziehungsweise Vermeidung vorantreiben.

Ist Ihr unerschütterlicher Glaube an den technischen Fortschritt nicht zu blauäugig – und müssten Sie nicht viel mehr in erneuerbare Energien investieren?

Das ist keine Entweder-oder-Entscheidung. Wir geben uns größte Mühe, auf allen Feldern der erneuerbaren Energien industriepolitisch fit zu sein. Es ist ja unbestritten, dass auf diesem Gebiet mit dem Energieeinspeisegesetz viel passiert ist – und dahinter wollen wir nicht mehr zurück.

Und dennoch haben Sie die Förderung für erneuerbare Energien gekürzt.

Nicht gekürzt, sondern umstrukturiert. Nur beim Programm Progres haben wir erheblich gestrichen, das gebe ich zu. Ich finde aber auch, dass man bestimmte Dinge einfach nicht mehr fördern muss. Wärmepumpen etwa sind längst rentabel. Unsere Einsparungen sind keine Absage an erneuerbare Energien – das würde auch gar nicht zu mir passen. Im Gegenteil: Ich reise durchs Land, um für neue Technologien zu werben.

NRW ist das einzige Land, in dem der Klimaschutz nicht im Umwelt-, sondern im Wirtschaftsministerium angesiedelt ist. Sehen Sie da einen Interessenskonflikt?

Nein. Ich halte das für sehr förderlich. Jedenfalls für besser, als das zum Teil kindische Hickhack zwischen Wirtschafts- und Umweltministerien andernorts.

Sie werben auch für Atomenergie. Was wäre in zehn Jahren der schlimmere Vorwurf für Sie: Zu sehr auf die fossilen Energieträger gesetzt zu haben – oder die Atomkraft wieder nach NRW geholt zu haben?

Ich würde mich über beides nicht ärgern. Vielleicht bin ich dafür zu nüchtern.

Was ist Ihr ganz persönlicher Beitrag zum Klimaschutz?

Ich fahre ein für heutige Verhältnisse sehr sparsames Auto.

Welches denn?

Einen zehn Jahre alten BMW 328i. Der ist zwar sehr schnell, aber wenn man ihn intelligent fährt, bleibt er unter zehn Litern Verbrauch.